Erst vor einigen Jahren begann mich Haydns zärtliche Selbstironie zu faszinieren. Besonders die Doppeldeutigkeiten seiner Musik und diese gewisse heitere Gelassenheit empfinde ich inzwischen als sehr reizvoll. Haydn reagierte nicht allergisch auf die Inszenierungsmaschinerie der Musikverlage – im Gegenteil. Sein Name verbreitete sich in ganz Europa, wobei man nicht vergessen darf, dass Haydn sukzessive nicht nur in Adelskreisen bekannt wurde, sondern auch in der bürgerlichen Gesellschaft mit ihrem neuen Herrschaftsanspruch.
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Ein Beispiel für die anarchisch-ironische Energie des jungen Haydn ist seine Vorwegnahme einer Charles Ives’schen Idee. Er organisierte ein »gassatim-Konzert« im öffentlichen Raum, bei dem er Musiker einlud, sich am Tiefen Graben in Wien auf mehrere Häuser und Winkel zu verteilen und nur das zu spielen, was sie wollten. Eine Idee von 1753!
Er hatte sich immer wieder selbst davon überzeugt, »dass man bei der ängstlichsten Befolgung der Regeln öfters die geschmackund empfindungslosesten Arbeiten liefere, dass bloße Willkür vieles zu Regeln gestempelt habe …«. Und er war gegen zu streng verfasste Theoriewerke (»zu drückend, zu viele Fesseln für einen freien Geist«). Durch gehorsames »Nachbeten der Autorität« kann man nicht zu eigenem Denken gelangen, das wusste er.
Vielleicht war die »Abschiedssinfonie« von 1772 gar kein Protest gegen den Fürsten, sondern die Geste eines Abschieds von sich selbst und dem bis dahin Komponierten. Haydn begann, besonders in den späten Sinfonien, einen Stil zu entwickeln, der populär war, ohne dabei auch nur im Geringsten seinen Kunstanspruch aufzugeben. Einfachheit, Komplexität, Seriosität und Humor verlieren durch neue, kunstvolle kompositorische Techniken und Stilisierungen ihre Gegensätzlichkeit. Haydn hob die Trennung von ernst und heiter auf. Oft muss man lächeln, wenn man jene Werke hört, die er ab den Achtzigerjahren komponierte. Dieser einsichtige, vielschichtige Komponist verbindet kindliche Naivität souverän mit gereiftem Können: Herz, Geist, Geschmack, Freiheit, Lebendigkeit und Originalität, Humor, Tiefe und Klarheit – was für eine wunderbare Mischung!