Völkerstrafrecht – Der Tatbestand der Aggression
Art. 8bis IStGHSt regelt das Verbrechen der Aggression, besser bekannt als das Verbrechen des Angriffskrieges. Damit bildet es das vierte und letzte der sogenannten Kernverbrechen oder
„core-crimes“ des Völkerstrafrechts.
I. Historischer Background
Bei fast jedem völkerrechtlichen Verbrechen spielt in irgendeiner Weise das Internationale Militärtribunal von Nürnberg eine entscheidende Rolle in der historischen Entwicklung. Von vielen Rechtslehrern und Historikern wird dieses Tribunal auch als Geburtsstunde des Völkerstrafrechts bezeichnet. Nicht anders verhält es sich beim Verbrechen der Aggression oder des Angriffskrieges gemäß
Art. 8bis IStGHSt. Die erste Erwähnung fand ein solches Verbrechen im Statut des Internationalen Militärgerichtshofs von Nürnberg 1945. Dort wurde allerdings weder die Formulierung „Aggression“, noch „Angriffskrieg“ verwendet, sondern die Vorschrift als
„Verbrechen gegen den Frieden“ tituliert.
In der weiteren Entwicklung des Völkerstrafrechts bezeichnete man ein derartig gelagertes Verbrechen dann nach und nach als
Verbrechen der Aggression. So wurde später auch im
Rom-Statut das Verbrechen der Aggression dem Aufgabenbereich des
Internationalen Strafgerichtshofs übertragen.
Bei der Einführung eines solchen Tatbestandes war eine Auseinandersetzung förmlich vorprogrammiert. Alle anderen Tatbestände des Völkerstrafrechts lehnen das
Mittel des
Krieges als solches
nicht ab. Beim Verbrechen der Aggression sollte aber allein schon die Führung eines Krieges unter Strafe gestellt werden. Es sollte also nicht länger um das „Wie“ der Kriegsführung, sondern um das „Ob“ der Kriegsführung gehen.
In diesem Punkt bestand zwischen vielen Staaten Uneinigkeit. Denn historisch betrachtet war der Krieg lange Zeit ein
selbstverständliches Mittel der Außenpolitik. Darüber, dass der Krieg allein als Mittel der Politik nicht mehr zulässig sein dürfe, war zwar weitgehend Einigkeit erzielt. Nicht der erste Angreifer, also der „Aggressor“ sein zu dürfen, ging einigen Vertragsparteien dennoch zu weit. Zumal im Einzelfall Schwierigkeiten bestehen dürften, herauszufinden, wer zu Beginn der Auseinandersetzung „angefangen“ hatte.
So war es nicht verwunderlich, dass der Übertragung der Zuständigkeit für Verbrechen der Aggression auf den IStGH
keine gesetzliche Regelung eines Tatbestandes folgte. Insbesondere aufgrund größerer Streitigkeiten bei der Definition des Angriffskrieges (also der Frage, wer wann als Aggressor zu gelten hat), sowie der Ausgestaltung der Strafgerichtsbarkeit, musste eine Einigung immer wieder aufgeschoben werden.
So dauerte es letztlich bis zum
Jahre 2010, dass eine Einigung zwischen den Staaten erzielt werden konnte. Im Rahmen der Konferenz von Kampala, bei der das Rom-Statut einer Überprüfung unterzogen wurde, konnte man sich auf die Einführung eines entsprechenden Straftatbestandes einigen, dem heutigen Art. 8bis IStGHSt, sowie die Gerichtsbarkeit, die, wie erwartet, dem IStGH zufiel. Auf die Ausübung dieser Gerichtsbarkeit musste der IStGH allerdings noch bis zum
01.01.2017 warten.
II. Der Tatbestand
1. Objektiver Tatbestand
a. Aggressionsakt
Definition: Im einfachsten Sinne des Wortes ist hier mit Angriff tatsächlich gemeint, wer
zuerst eine
möglicherweise vorher schon
politisch schwelende Konfliktlage auf eine
militärische Ebene hebt.
Zu Beginn eines jeden Verbrechens des Angriffskrieges muss logischerweise
ein Angriff, sprich eine
Aggression, stehen.
Einfach ausgedrückt, ist tatsächlich derjenige der Aggressor, der den ersten Schuss abgibt. Wichtig ist hier, dass es sich nicht um die Tat eines Einzelnen, denkbar zum Beispiel bei einem terroristischen Attentat, handelt. Es muss ein
kollektiver, also auch
staatlich gelenkter, Aggressionsakt vorliegen. Wenn also ein Anschlag eines fremden Staatsbürgers in einem anderen Staat geschieht, mag dieser Anschlag noch nicht eine Aggression im Sinne der Vorschrift darstellen.
Anders kann dies freilich aussehen, wenn der Attentäter
staatlich gelenkt worden ist. Aber selbst dann muss es sich um eine Tat im
Kontext einer
allgemeinen Politik des
Aggressorstaates handeln.
...
Dass dem Angriff eine gewisse Intensität generell innewohnen muss, wird dadurch deutlich, dass der Normtext auf die UN-Charta verweist und nur solche Akte als Aggressionsakte im Sinne der Norm akzeptiert, die aufgrund ihrer
Art, Schwere und ihres
Ausmaßes eine manifeste Verletzung der UN-Charta darstellen (sogenannte „Schwellenklausel“). Hier zeigt sich wiederum, dass das Völkerstrafrecht voll akzessorisch zum sonstigen Völkerrecht ist. Deutlich wird aus dieser Klausel auch die grundsätzlich restriktive Handhabung des Tatbestandes, basierend auf den oben genannten Unstimmigkeiten.
b. Individuelle Aggressionshandlung durch Führungspersonen
Um Staaten vor einer Verantwortlichkeit für Verbrechen zu schützen, die sich ihrer Kontrolle entzogen haben und viel mehr terroristische Akte darstellen, setzt der Tatbestand weiterhin die
individuelle Aggressionshandlung durch
eine oder
mehrere Führungspersonen voraus. Das heißt im Einzelnen, dass dem Angriff eine gewisse
Planung und
Vorbereitung vorausgegangen sein muss. Nach diesem Plan und durch Organisation muss dann ein
Aggressionsakt erst
eingeleitet oder
durchgeführt worden sein.
Diese
Organisation muss durch einen Angehörigen der politischen oder auch militärischen
Führungsriege durchgeführt worden sein. Dieser Person muss also eine gewisse
Anweisungs- und/oder
Kontrollkompetenz zukommen.
2. Subjektiver Tatbestand
Das Verbrechen des Aggressionskrieges erfordert den
Vorsatz im Sinne des
Art. 30 IStGHSt. Ein sogenannter spezieller „animus aggressionis“, ist mithin nicht erforderlich. Auf der anderen Seite ist aber auch die reine „recklessness“ (im Deutschen vergleichbar mit Fahrlässigkeit) nicht ausreichend um den Vorsatz zu bejahen.
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