Deutschlandfunk | Kultur | 19.08.2016 von Jens Rosbach
Philosemitismus
Einer zweifelhaften Zuneigung auf der Spur
Philosemiten sind all
jene, die
Juden besonders
unterstützen und
verehren. Wir betrachten ein fragwürdiges Phänomen, das wenig erforscht ist. Und das zudem viele Juden nervt: Manche halten die Zuneigung gar für Feindschaft – nur mit anderen Vorzeichen.
Seligmann:
„Ich freue mich, wenn mich jemand liebt, aber wenn mich jemand nur liebt, weil ich Jude bin, kann er mich genauso gut hassen, weil ich Jude bin. Also wenn man nur als Jude gemocht wird, das ist mir nicht geheuer.“
Zuckermann:
„ Also wenn man einen Juden übermäßig liebt, pauschal liebt, und alle Juden sind dann Moses Mendelsohn und alle Juden sind intelligent und alle Juden sind dann irgendwie begabt, dass es über dem Durchschnitt der gesamten Welt steht – dann überkommt es mich kalt. Und ich muss sagen, dass es mich mittlerweile anekelt.“
Kinzig:
„Manchmal wird die Befürchtung geäußert, dass Philosemiten dem Judentum zu nahe auf die Pelle rücken – ein Anbiedern oder auch ein Ersticktwerden durch die Liebe von Philosemiten – das findet sich alles.“
Müssen Juden Angst haben, dass sie von Philosemiten „zu Tode geküsst werden“? Sollten sie sich in Acht nehmen vor Menschen, die von ihren „lieben jüdischen Mitbürgern“ sprechen, die Versöhnungsreden halten, nach Israel pilgern und zudem ständig Klezmer-Musik hören?
Ein Leinwand-Monolog mit Ben Becker
„Überempfindlich? Natürlich bin ich überempfindlich! Habe eine zu dünne Haut! Aber nicht vom Angegriffenwerden. Das tut zwar manchmal weh, aber macht auch Hornhaut, es trainiert. Die dünne Haut kommt von den Samthandschuhen, mit denen man ständig angegriffen wird – von diesem ständigen ranschmeißerischen Verständnis. Von dieser ekelhaften Einfühlsamkeit!“
Ben Becker diskutiert in dem Film
„Ein ganz gewöhnlicher Jude“ den schwierigen Umgang mit Philosemiten. Ein Leinwand-Monolog aus dem Jahre 2005. Für den Schriftsteller Rafael Seligmann ist der Philosemitismus ein reales Alltagsproblem. Der 65-jährige Berliner erlebt immer wieder Erstaunliches mit übermäßig interessierten Nichtjuden:
„Schon auf den Flügen nach Israel: Ja, toll, du bist also Israeli! Nein, ich bin Jude. Ja, aber ihr seid doch alle auch für Israel. Jaja. Ist großartig, was ihr da tut! Und Sie sind doch so belesen! Das geht ja bis zu solchen ... Komm wir gehen ins Bett! Gibt`s alles.“
Seligmann kann solche Komplimente nur schwer ertragen – selbst wenn Sie von Frauen kommen. Geschmeichelt fühlt er sich auf keinen Fall.
„Wenn mich jemand nur mag, weil ich Jude bin, dann weiß ich, irgendwas bewegt ihn dazu.“
Welche Motive hat ein Philosemit?
Aus dem Film
„Ein ganz gewöhnlicher Jude“:
„Sie meinen es so gut! Und ich kann Leute nicht ausstehen, die meinen, sie müssten es gut mit uns meinen! Ich eigne mich nicht als Forschungsobjekt! So sieht er also aus, der Jude.“
Der Begriff enstand Ende des 19. Jahrhunderts
Was ist ein Philosemit? Und was sind seine Motive? Die Wissenschaft hat „Philosemitismus“ noch nicht endgültig definiert. Klar ist aber, dass der Begriff Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland entsteht. Also in einer Zeit, als der Antisemitismus grassiert. Der konservative Historikers
Heinrich von Treitschke, ein bekennender
Judenfeind, formuliert damals den Satz
„Die Juden sind unser Unglück“.
Kinzig:
„Diese Gruppen um Treitschke versuchen sich abzugrenzen gegen das, was sie sehen als das reiche jüdische Establishment, das sich vereint hat mit dem Linksliberalismus, der häufig als unpatriotisch angesehen wird, der große Teile der Presse kontrolliert und einen unbeschränkten Manchester-Kapitalismus propagiert.“
1880 nutzt von Treitschke den Begriff
Philosemitismus erstmals in einem Aufsatz – als Kampfbegriff, um die
Linksliberalen als
Judenfreunde zu brandmarken.
„Er lehnt diese Form von Philosemitismus ab. Also insofern kann man die Ursprünge des Begriffs Philosemitismus durchaus in der Geschichte des Antisemitismus festmachen.“
Professor Wolfram Kinzig ist einer der wenigen Forscher in Deutschland, die das Phänomen „Philosemitismus“ untersuchen. Der Bonner Kirchenhistoriker erklärt, dass es Ende des 19. Jahrhunderts zum guten Ton gehört, sich vom Philosemitismus abzugrenzen. So distanzieren sich zwar die Sozialdemokraten vom
Antisemitismus – aber auch von einer
„Judenschwärmerei“. Weite Kreise der Gesellschaft gehen damals davon aus, dass Deutschland tatsächlich eine
„Judenfrage“ zu lösen habe.
„Man muss immer dann vorsichtig sein, wenn sich Menschen vom Antisemitismus wie vom Philosemitismus abgrenzen und eine – in Anführungszeichen – ‚neutrale‘ Haltung einnehmen möchten. Dann liegen häufig antijüdische Einstellungen und Ressentiments vor, die sozusagen darauf abzielen, die ‚Wahrheit‘ über das Judentum zu sagen, die dann am Ende aber eben auch antijüdisch geprägt ist.“
Bis 1945 sind in Deutschland antijüdische Vorurteile und Judenhass gang und gäbe – doch in der jungen Bundesrepublik wird plötzlich der Philosemitismus salonfähig. Warum?
„Die Antwort ist in erster Linie: die deutsche Existenzangst im Zusammenhang mit der internationalen Lage.“
Der Südwestfunk analysiert 1965, warum die Deutschen nun eine Shoah-Gedenk-Kultur fördern und immer wieder – bei offiziellen Anlässen – jüdische Funktionäre hofieren:
„Die Bundesrepublik befindet sich zu den westlichen Ländern in einem politischen und militärischen Abhängigkeitsverhältnis. Infolge der noch nahen nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands sind diese demokratischen Staaten misstrauisch. Die Bundesrepublik muss deshalb fortwährend beschwichtigen und sich als demokratisch ausweisen. In dieser schwierigen Lage hat sich ein Ausweg gefunden: Da Demokratie und Humanität sich noch nicht selber bezeugen können, bedient man sich in zunehmendem Umfange der Symbole und Ersatzhandlungen.“
Freundschaft aus Schuldgefühl
Demonstrativer Philosemitismus – als Persilschein, um Deutschland von den NS-Verbrechen reinzuwaschen. Rafael Seligmann hat erlebt, dass viele Deutsche auch aus einem
echten Schuldgefühl heraus seine Nähe suchen.
„In München, wo ich fast 40 Jahre gelebt habe, meine Jugend verbracht habe, sind mir oft Leute begegnet, die mich scheinbar spontan mochten. Und bald darauf begannen sie mir zu erzählen, dass ihr Vater Nazi war. Dass ihr Vater SS-Mann war. Dass ihr Vater Juden ermordet hatte. Und dann sucht man sozusagen die Freundschaft von Juden. Es ist so ein verzweifeltes Suchen nach Absolution.“
Aus dem Film
„Ein ganz gewöhnlicher Jude“:
„Ich weiß ja, dass es gut tut, ein guter Mensch zu sein. Aber zieht mich da nicht rein. Ich will die Sonderrolle nicht haben. Nicht im Schlechten und nicht im Guten. Ein ganz gewöhnlicher Mensch möchte ich sein. Ein ganz gewöhnlicher Jude!“
Politiker, die sich
philosemitisch geben, um im Ausland zu punkten. Sowie Deutsche, die von Schuldgefühlen geplagt sind. Schließlich tritt eine weitere Gruppierung betont judenfreundlich auf: bestimmte Christen. Einige von ihnen bewundern alles Jüdische, weil
Jesus ein
Jude war und das Christentum
begründete. Andere – vor allem evangelikale Christen in den
USA – betreiben sogar eine
aggressive pro-zionistische Politik.
Zuckermann:
„Die Evangelikalen sind von daher sowohl politisch als auch ökonomisch als auch diplomatisch sehr stark involviert in der Solidarität mit Israel – teilweise auch mit tatkräftiger materieller Unterstützung.“
Moshe Zuckermann ist Soziologe und Geschichtsprofessor in Tel Aviv. Der Wissenschaftler kritisiert, dass Israel immer wieder gern die Unterstützung der Evangelikalen annimmt. Nach Ansicht von Zuckermann handelt es sich nämlich um
falsche Freunde. Denn diese religiösen Fundamentalisten wollen letztlich die Juden auf der ganzen Welt zum Christentum bekehren und nach Israel führen. Davon erhoffen sie sich die Wiederkunft des Messias.
„Wenn diese Leute irgendwelche endzeitlichen Vorstellungen haben, bei denen sie die Juden sozusagen verbraten wollen, damit es zur christlichen Erlösung der Menschheit kommt, dann können Sie sich denken, was ich als Jude dazu meine: Ich halte diese Leute erstens in ihrer Gesinnung für durchgeknallt – aber darüber hinaus auch für politisch immens gefährlich.“
Das Besondere im Blick
Pragmatische Gründe, psychologische Motive, religiöse Ziele – andere Philosemiten setzen sich aus einer ideologischen Haltung für Juden oder den jüdischen Staat ein. Etwa weil sie in Israel die Speerspitze des Westens in einer islamischen Welt sehen. Doch egal, welche Motivation sie jeweils antreibt – deutlich ist:
Philosemiten sehen immer etwas Besonderes im Juden, etwas Außergewöhnliches.
„So sieht er also aus, der Jude, der Israelit, der Hebräer! Schaut gut hin, liebe Kinder! "
Heißt es ironisch im Film
„Ein ganz gewöhnlicher Jude“.
„Und wenn Ihr alle typischen Merkmale erkannt habt, dann schreiben wir einen Aufsatz darüber. Aber nicht vergessen: Es müssen die Worte „Toleranz“ und „Versöhnung“ darin vorkommen, nicht vergessen! Toleranz und Versöhnung! Sonst kriegt Ihr eine schlechte Note!“
...
[Links nur für registrierte Nutzer]