Der STANDARD / 6. Juni 2024
ZWEITER WELTKRIEG
D-Day-Jubiläum ohne russische Delegation
Zum
80. Jahrestag der Landung der
Alliierten kommen Staatsoberhäupter der
früheren Verbündeten in die Normandie – bis auf
eine Ausnahme.
Ein Bericht aus Paris
Im Morgengrauen des 6. Juni 1944 waren über 130.000 Soldaten, namentlich aus den USA, Großbritannien, Kanada, Polen und Frankreich, an der französischen Ärmelkanalküste gelandet, um die Naziherrschaft über Kontinentaleuropa zu brechen. 80 Jahre später kommt es in der Normandie zu einer neuen Invasion: Mehrere Hunderttausend Zaungäste pilgern an diesem Donnerstag an Landungsstrände wie Omaha Beach, wo noch heute Betonspuren von der alliierten Invasion zeugen.
Auch sonst ist das Dekor imposant: 43.000 Sicherheitskräfte sind aufgeboten, um in erster Linie 25 Staatsoberhäupter und Regierungschefs abzuschirmen. US-Präsident Joe Biden (81) ist schon am Mittwoch eingetroffen. Der britische König Charles III. wird trotz seiner Krebsdiagnose dabei sein, sich aber bei der Hauptzeremonie durch seinen Sohn William vertreten lassen.
Veteran stirbt vor Abreise
Von den D-Day-Veteranen dürften noch 200 teilnehmen. Sie sind zwischen 94 und 107 Jahre alt und trafen zumeist in Rollstühlen ein. Einer von ihnen, der Kanadier William Cameron (100), war am Vortag seiner Abreise Richtung Frankreich verstorben. Beim nächsten runden Gedenktag wird vielleicht kein Landungsveteran mehr präsent sein – ein Zeichen, dass der Schutz Westeuropas durch die USA keine Selbstverständlichkeit ist.
Umso entschlossener dürfte Biden auf dem amerikanischen Soldatenfriedhof in Colleville die westliche Geschlossenheit im Kampf für Demokratie und Frieden hervorheben – und sich damit auch von seinem Präsidentschaftsrivalen Donald Trump abheben. Mit von der
Partie ist auch der ukrainische Präsident
Wolodymyr Selenskyj, dessen Land Opfer eines Aggressionskrieges ist. Er wird in bilateralen Gesprächen versuchen, die vielfach bekräftigte Solidarität des Westens in konkrete Hilfszusagen umzumünzen.
Grünes Licht aus Washington
Biden wird Selenskyj zweimal treffen, einmal in der Normandie und Mitte des Monats beim G7-Gipfel in Italien. Letzte Woche hatte die US-Regierung bereits grünes Licht gegeben für ukrainische Angriffe mit US-Waffen auf russischen Boden, wenn von dort aus Städte wie Charkiw bombardiert werden. Ob Kiew bereits entsprechend handelt, wollte Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan am Mittwoch nicht bestätigen. Macron versucht derzeit seinerseits, mehrere EU-Staaten für die Entsendung von Militärausbildern zu gewinnen. Er muss allerdings bei der an den D-Day anschließenden Frankreich-Visite Selenskyjs zuerst noch beweisen, dass seine Entschlossenheit nicht nur eine rhetorische ist: In Sachen Rüstungshilfe liegt Frankreich relativ gesehen weit hinter anderen Europäern zurück.
Deutsche Zurückhaltung
Deutschland hat diesbezüglich eine bessere Bilanz; Kanzler Olaf Scholz wird aber in der Normandie wie schon seine Vorgängerin Angela Merkel eine gewisse Zurückhaltung üben, da Deutschland 1944 nicht zu den Alliierten gehört hatte.
Ein
Name fehlt auf der Gästeliste:
Wladimir Putin.
Eine
Einladung an den russischen Präsidenten, den Hauptverantwortlichen eines brutalen Angriffs auf ein demokratisches Land, hatte nie zur Debatte gestanden. Macron zögerte lange, ob er stattdessen eine "diplomatische" russische Delegation einladen sollte.
Russland hatte
1944 an der
Ostfront erst die
Zangenbewegung gegen die
Wehrmacht ermöglicht.
Ehrung für gefallene Russen
Macron sah aber letztendlich von einer Einladung ab, um ein Zeichen zu setzen: Russland muss zuerst wieder die internationale Gemeinschaft achten und respektieren. Im Élysée-Palast betonten Berater zugleich, niemand stelle in Abrede, dass Russland einen "entscheidenden Beitrag zum Sieg gegen den Nazismus geleistet" habe. Das russische Volk habe einen sehr hohen Blutzoll bezahlt. Deshalb wollen die Alliierten am D-Day bewusst einige in der Normandie gefallenen Russen an ihren Gräbern ehren. Meist handelt es sich um Mitstreiter der französischen Résistance gegen die Nazis. (Stefan Brändle aus Paris, 6.6.2024)
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