APuZ 8 / 2013 von Muriel Asseburg
Syrien: ziviler Protest, Aufstand, Bürgerkrieg und Zukunftsaussichten
Zukunftsaussichten 
Derzeit sind 
drei Szenarien für die 
kurz- bis 
mittelfristige Entwicklung Syriens plausibel. Trotz der intensiven Bemühungen des Vermittlers Lakhdar Brahimi scheint das erste Szenario, ein zwischen Regime und Opposition verhandelter Übergang, oft auch als 
„jemenitische Lösung“ bezeichnet, derzeit am 
unwahrscheinlichsten. Denn die 
Konfliktparteien verhalten sich wie in einem Nullsummenspiel und sind daher 
nicht zu Verhandlungen mit der jeweils anderen Seite bereit. 
Eine solche Lösung müsste also zunächst zwischen 
regionalen und 
internationalen Playern ausgearbeitet und dann den Konffliktparteien mit intensiver Vermittlung und unter massivem Druck nahegebracht werden. 
Dass alle relevanten regionalen und internationalen Akteure dabei an einem Strang ziehen, ist, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Konflikts um die regionale Rolle und das Atomprogramm des Iran, 
nicht zu erwarten. 
Am wahrscheinlichsten scheint vielmehr das 
zweite Szenario eines Fortdauerns der Kampfhandlungen und einer 
(fragilen) Zementierung der 
Fragmentierung des Landes. Denn 
externe Unterstützer sowohl des Regimes als auch der Opposition verbinden mit dem Syrien-Konflikt weitreichende, mitunter sogar 
existenzielle Konsequenzen für ihre 
eigene strategische Position. Sie verwenden deshalb 
erhebliche Anstrengungen darauf, einen aus ihrer Sicht 
nachteiligen Ausgang des Bürgerkriegs zu verhindern; die syrischen Konfliktparteien können daher mit einem kontinuierlichen Zufluss von Geld und Waffen rechnen. Dies macht eine rasche militärische Entscheidung 
unwahrscheinlich. Auch ist eine 
militärische Intervention seitens der internationalen Gemeinschaft, die den Kriegsverlauf entscheidend verändern könnte, derzeit 
nicht abzusehen. 
In diesem 
Szenario würde das Regime das Zentrum der Hauptstadt, einen Korridor zur Küste inklusive der Städte Latakia und Tartus und das 
alawitisch besiedelte Küstengebirge kontrollieren, die 
PYD die 
kurdischen Gebiete und die 
Rebellen den 
Rest des Landes. Allerdings dürfte es sowohl zwischen diesen 
drei Kräften als auch insbesondere in dem von den Rebellen gehaltenen Gebiet weiterhin zu 
Kämpfen kommen, nicht zuletzt zwischen 
konkurrierenden Rebellen und 
Warlords. Mit diesem Szenario dürfte sich auch der 
Trend der 
Radikalisierung und 
Konfessionalisierung weiter 
fortsetzen ebenso wie die 
Flucht der Bevölkerung aus 
umkämpften Gebieten beziehungsweise von einzelnen Bevölkerungsgruppen aus denjenigen Gebieten, die von 
Kräften kontrolliert werden, die ihnen 
feindlich gesonnen sind. Damit würden sich auch die
 negativen Effekte für die Nachbarstaaten verstärken. 
Weniger wahrscheinlich scheint kurz- bis mittelfristig das 
dritte Szenario, der 
Fall des 
Regimes – zumindest solange die Rebellen nicht wesentlich 
stärkere externe Unterstützung in Form von schweren Waffen erhalten. Dies aber ist, vor allem wegen der Sorge westlicher Regierungen angesichts einer zunehmenden Zahl von dschihadistischen Kämpfern, derzeit 
nicht zu erwarten. In diesem 
Szenario besteht die 
große Gefahr, dass es zu 
massiver ethnisch-konfessioneller Gewalt in Form von 
Vergeltungsakten gegen einzelne 
Bevölkerungsgruppen kommt, die für die Gräueltaten des Regimes in Kollektivhaft genommen werden. Zudem könnten die 
Kämpfe zwischen unterschiedlichen 
Rebellengruppen, 
Überbleibseln der 
Sicherheitskräfte des Regimes und 
Milizen eskalieren – sich der 
bewaffnete Machtkampf also in einen 
umfassenden ethnokonfessionellen Bürgerkrieg verwandeln. 
Das Szenario bietet auch die 
Chance für einen Übergang zu einer neuen Ordnung. Allerdings sind die 
Ausgangsbedingungen für eine 
demokratische, pluralistische und inklusive Nach-Assad-Ordnung in einem geeinten Syrien, wie sie die Opposition – über konfessionelle, ethnische und ideologisch-politische Gräben 
hinweg – anstrebt. 15 aufgrund der geschilderten Entwicklungen alles andere als gut. Ob der 
Übergang zu einer stabilen demokratischen Ordnung in einem geeinten Syrien gelingt, wird dabei ganz entscheidend davon abhängen, ob die internationale Gemeinschaft 
effektiver als bislang 
zusammenarbeitet, um ein 
Auseinanderbrechen des Landes und einen 
umfassenden Bürgerkrieg zu verhindern, und ob sie den Syrerinnen und Syrern bei der Bewältigung der immensen Herausforderungen, vor denen das Land im 
Sicherheitsbereich, bei der 
Übergangsjustiz und beim 
wirtschaftlichen Wiederaufbau steht, unter die Arme zu greift.
(PDF Dossier) 
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