Synagogen und Moscheen als Sakralräume
Sakralräume sind herausgehobene Räume, die der Begegnung mit Gott dienen. In ihnen soll erfahren werden, was die Welt und das Leben umfasst, begründet, hält und dabei Perspektiven für ein gutes Leben eröffnet. Dazu arbeiten Sakralräume mit erlebbaren, sinnlich wahrnehmbaren und begreifbaren Mitteln, die Menschen für die Begegnung mit Gott vorbereiten. Sakralräume wirken auf diejenigen ein, die sie aufsuchen.
Sakralräume wirken auf mehrfache Weise:
(1) durch ihre Lage im Gemeinwesen und ihre äußere Gestalt,
(2) indem sie Menschen versammeln und eine Gemeinschaft bilden,
(3) indem sie Menschen auf ein Ziel und eine Mitte ausrichten,
(4) indem sie durch Artefakte (Gegenstände, Symbole, Bilder) vom Glauben erzählen und
(5) indem sie durch ihre Atmosphäre Gefühle auslösen und Menschen „in Stimmung“ bringen.
Im Folgenden soll dargestellt werden, wie sich diese Wirkungen bei Synagogen und Moscheen zeigen.
Lage und Gestalt
Synagogen können grundsätzlich an jedem Ort errichtet werden. Einst lagen sie in der Mitte eines Ortes und dokumentierten so die selbstverständliche Zugehörigkeit von Jüdinnen und Juden sowie der jüdischen Religion zum Leben eines Gemeinwesens. Nach 1945 konnten wieder einige Synagogen restauriert werden (z.B. Frankfurt Westend). Meist erinnern an sie jedoch nur noch Gedenktafeln. Neue Synagogen werden heute wieder inmitten von Städten und Stadtteilen errichtet (z.B. Mannheim, Frankfurt, Heidelberg), müssen aber besonderen Wert auf Sicherheit legen. Sie
vermeiden die
Ähnlichkeit mit christlichen Kirchen (wie sie im 19 Jhdt. üblich war) und bringen durch ihre besondere äußere Gestalt ihre jüdische Identität zum Ausdruck (Karlsruhe: Davidstern als Grundriss, München: Darstellung der Klagemauer, Dresden, Trier: Kubus wie der Tempel in Jerusalem). Sie weisen auf die
Präsenz jüdischen Glaubens vor Ort und beanspruchen für diesen
öffentliche Wahrnehmung und
Anerkennung. Im
Unterschied zum Kirchengebäude bildet die
Synagoge ein ganzes
Gemeindezentrum mit
Gemeindesaal, Küche, Bücherei, Büros, Jugendzentrum und
Mikwe.
Die
äußere Gestalt der
Moschee weist auf die
Präsenz des
Islam am
Ort. Das
Minarett soll erkennen lassen, wo sich die nächste
Moschee befindet. Die
türkische Kuppelmoschee (gebildet nach dem Vorbild der einst christlichen
Hagia Sophia) betont die
Besonderheit des
Sakralraumes, wird als Ausdruck einer
spezifisch muslimischen Identität wahrgenommen und betont den
Anspruch auf
öffentliche Zugehörigkeit und
Anerkennung. Wie im
Judentum bildet auch die
Moschee ein
Gemeindezentrum (Vgl. Yavuz-Sultan-Selim-Moschee Mannheim. Neben dem
Betraum gibt es den
Waschraum, ein
Café, Räume für den
Koranunterricht und für
Gespräche.
Versammlung und Bildung einer Gemeinschaft
Die
Synagoge ist ein Versammlungshaus wie schon ihr Name sagt (griech. synagogé Versammlung; hebr. Beit Knesset Haus der Versammlung). Innen wird in der Regel zwischen Männern und Frauen
getrennt. Beide Geschlechter haben jeweils für sich gleichrangige Plätze. Obwohl der Rabbiner für den Gottesdienst nicht zwingend notwendig ist, gibt es für ihn (und den Kantor) neben dem Torahschrein ein Bet- und Lesepult (Amud), von dem aus er den Gottesdienst leitet. Entscheidend für den Gottesdienst ist allein, dass
zehn erwachsene jüdische Männer anwesend sind
(Minjan).
Auch die Moschee (von masǧid wörtlich: Ort, an dem man sich niederwirft) dient der Versammlung und Bildung einer Gemeinschaft. Das Gebet, das in der Gemeinschaft verrichtet wird, gilt als
27 mal wertvoller als das
einzelne Gebet (Hadith Al Bukhari). Der Teppich weist (meist) Plätze für das Gebet zu, ordnet damit die Gemeinschaft und sorgt dafür, dass sich alle als gleichberechtigt erleben. Durch ihre Nähe im Gebet soll Verbundenheit empfunden werden. Im Raum wird zwischen Frauen und Männern getrennt.
Ausrichtung auf ein Ziel und eine Mitte
In der Synagoge werden die Glaubenden mit dem Körper und alle Sinne auf den Torahschrein (Aron ha Kodesch) ausgerichtet. Dieser ist mit dem Podium (Bima) Zentrum und Mitte der Synagoge (nicht zu verwechseln mit dem Amud dem Lesepult). Der
Torahschrein ist immer in
Richtung Jerusalem aufgestellt, so dass die Versammelten immer in diese Richtung schauen. Die Betenden werden so auf den
zerstörten Tempel (Beit HaMikdasch = Haus des Heiligtums) ausgerichtet. Dort ist das
Zentrum der
Welt und dort soll das
Volk Gottes wieder
vereinigt werden. Am Schluss des Sederabends erschallt der Ruf
„Nächstes Jahr in Jerusalem!“. Der Torahschrein mit dem Vorhang (Parochet) und den darin befindlichen Torahrollen repräsentieren das Allerheiligste des Tempels. Somit werden die Gläubigen zugleich auf die
Torah, die
fünf Bücher Mose ausgerichtet, die die
Gründungsgeschichte des Volkes Israel erzählen und die
Weisungen Gottes enthalten, wie sie
Mose empfangen hat. Sie sind Urkunde des Bundes Gottes mit seinem Volk und geben Orientierung für ein Leben in Treue zu diesem Bund.
Die
Moschee richtet die Betenden auf die mit Koranversen verzierte
Gebetsnische (Mihrab) aus und gibt so die Gebetsrichtung (Kibla) vor. Diese zeigt nach
Mekka (Sure 2,41) und auf die
Kaaba als dem
„Haus Gottes“ (Sure 3,95). Diese ist das
Zentrum der Welt, die bei der
Wallfahrt nach
Mekka (Hadsch) mehrfach umrundet wird.
Artefakte erzählen ohne Worte
Der wichtigste und künstlerisch gestaltete Gegenstand in der
Synagoge ist der
Torahschrein – meist in Form eines Tempelchens (Ädikula). Die darin befindlichen
Torahrollen erinnern an die
Bundeslade, die im Allerheiligesten aufbewahrt war. In dieser befanden sich die beiden Tafeln mit dem
„Zehntwort“, das Mose dem Volk überbracht hat. Sie werden immer wieder zeichenhaft, vor allem durch die ersten zehn Buchstaben des hebräischen Alphabets dargestellt. Da diese Zahlenwerte von 1-10 bezeichnen, erinnern sie an die Zehn Gebote. Die Torah selbst erzählt von der Gründungsgeschichte des Volkes Gottes, von der Erwählung Abrahams, von Mose und der Befreiung aus Ägypten, dem Bundesschluss am Sinai, von den 613 Geboten und dem gelobten Land.
Alles an der Torahrolle (Mantel, Silberschmuck, Binde, Krone, Löwen) hebt ihre königliche Bedeutung hervor. Die beiden Löwen weisen auf das Land Juda, der Davidsstern auf König David. Auch weitere Einrichtungsgegenstände erzählen von dem Tempel in Jerusalem, so das
ewige Licht (Ner Tamid) oberhalb des Torahscheins, der
siebenarmige Leuchter (Menorah 2. Mose 25,31-46), der einst im Tempel stand, aber nach Rom verschleppt wurde. Der
achtarmige Leuchter (Chanukkia) erzählt von der
Befreiung des Tempels unter der
Führung der
Makkabäer.
Die
Gebetsnische in der
Moschee erinnert an den Zugang zur
Kaaba und erzählt damit von Abraham und Ismael, von Mekka und Mohammed sowie von den
Pflichten zum Gebet und zur Hadsch, der
Pilgerfahrt nach Mekka. Die neben der Gebetsnische befindliche
Kanzel (Minbar), von der aus der
Imam im
Freitagsgebet (Khatib) und an
Festtagen eine
Predigt (Khutba) hält, erzählt von Mohammed, der sich im Hof seines Hauses auf den
Stumpf einer
Palme stellte, um zu predigen. Später wurde für ihn ein mit Stufen versehener erhöhter Sitz gebaut. Der
Waschraum erzählt von der
großen Bedeutung, die
Reinheit und
Reinigung im
Islam haben.
Das
Gebet verlangt eine
äußere Reinigung, die mit einer
inneren Reinigung verbunden ist. Zu der Reinheit gehört auch die Reinheit der Kleider und des Ortes, an dem gebetet wird, weswegen Muslime vor dem Eintritt in den Gebetsraum die Schuhe ausziehen und dort ein Teppich ausgelegt ist.
Die
kaligrafischen Zeichen und
Ornamente an Wand und Kuppeldecke enthalten vornehmlich
Worte des
Korans und sind damit
Worte Allahs, die der
Engel Gabriel dem
Propheten übermittelt hat. Sie haben
unbedingte Autorität. Dazu können
Aussprüche des
Propheten und
andere Lehrsätze kommen.
Atmosphäre
Die
Atmosphäre einer
Synagoge ist durch
Licht und
helle Farben (oft blau) sowie durch
hebräische Schriftzeichen gekennzeichnet, die sich meist auf das
Zehntwort beziehen. Es gibt
keine Bilder, was seinen Grund im
Bilderverbot des
Dekalogs hat. Sicherlich dient der Raumkörper der
guten Akustik beim Rezitieren der Torah.
Die
Atmosphäre gerade
großer Moscheen wird durch ihre
Weite und
Höhe bestimmt, die aufatmen lassen. Überall sind
Leuchter, die den Raum
hell und
freundlich machen. Die
Farben sind
intensiv, überwiegend blau und grün, und lassen mit den floralen Wandzeichnungen einen Garten der Fülle, ja das
Paradies assoziieren. Das
Bethaus soll schön sein. Die
kalligrafischen Schriftzeichen an den Wänden und Decken, an der Gebetsnische und am Kanzelaufgang umhüllen den Betenden mit arabischer Schrift und Worten Allahs. Sie regen an, diese Texte zu lesen, zu beherzigen
(learning by heart) und in den
Worten Allahs sein Leben zu führen. Offensichtlich geht es bei alldem auch um ein Gefühl von
Schönheit, die
Allah entspricht.
Autor: Hartmut Rupp
Religionspaedagogisches Institut EKKW und EKHN
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