Handelsblatt / 06.07.2022 / Josef Braml
Mit den Sanktionen gegen Russland schaden die westlichen Staaten vor allem sich selbst
Während alle G7-Staaten gegen Russland vorgehen, stemmen sich viele Länder des „globalen Südens“ gegen Sanktionen. Aus gutem Grund, meint Josef Braml. Josef Braml ist Generalsekretär der Deutschen Gruppe der
Denkfabrik Trilaterale Kommission. Unlängst ist sein Buch
„Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können“ erschienen.
Von Schloss Elmau, dem Tagungsort des jüngsten G7-Gipfels, sollte ein gemeinsames Signal starker Demokratien ausgehen, im vollen Bewusstsein ihrer globalen Verantwortung. Doch letztlich war das Gegenteil der Fall:
Vergebens versuchte die „Wertegemeinschaft führender Demokratien“, wichtige Schwellenländer wie Indien, Indonesien und Südafrika im Zeichen von Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine in ihre Allianz gegen Russland einzubinden.
Aus
guten Gründen vermieden es deren
politische Führer, sich den
westlichen Sanktionen gegen Moskau
anzuschließen.
Denn durch ihre zwar wohlmeinenden, aber strategisch kurzsichtigen Strafmaßnahmen schaden die westlichen Staaten nicht nur ihren eigenen Volkswirtschaften, sondern auch dem „Rest der Welt“, auf den die G7 von ihrer vermeintlich höheren, weil demokratischen Warte oft herabschaut.
Verdrängt wird dabei die Tatsache, dass insbesondere die Demokratie der westlichen Führungsmacht USA
schwer beschädigt ist. Der Untersuchungsausschuss zum Sturm auf das Kapitol bringt immer mehr beunruhigende Fakten eines
militanten Trumpismus ans Licht. Mittlerweile fürchtet die Mehrheit der US-Bevölkerung, ihre
Demokratie könnte bald durch eine
Autokratie ersetzt werden.
...
Für Trump ist Putin ein Genie
Weithin in Vergessenheit geraten ist auch der G7-Gipfel im kanadischen Quebec, bei dem Trump 2018 mit seiner exklusiven Forderung, Russland wieder in den Klub der wichtigsten Industrieländer aufzunehmen, für einen
Eklat sorgte. Schon zuvor hatte er im US-Wahlkampf vom ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski belastendes Material gegen seinen Herausforderer Biden und dessen Sohn Hunter gefordert.
Hunter stand auf der
Gehaltsliste der
ukrainischen Gasholding Burisma, obwohl sein Vater als Vizepräsident in der Amtszeit von Barack Obama für das Ukrainedossier verantwortlich war. Ohne belastendes Material, so Trumps unverhohlene Drohung, würden die USA unter seiner Führung die militärische Hilfe an die Ukraine zurückfahren.
Vor diesem Hintergrund ist es zwar zu begrüßen, dass die deutsche G7-Präsidentschaft in enger Abstimmung mit ihren Verbündeten die Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine koordinieren will. Aber dazu gehören auch weitreichende Finanz- und Wirtschaftssanktionen gegen Russland, die ihre beabsichtigte Wirkung – die Änderung von Putins Verhalten oder einen Regimewechsel in Moskau –
verfehlen.
Während alle
G7-Staaten, also
Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Kanada,
Großbritannien und die
USA, Wirtschaftssanktionen gegen Russland in Kraft setzten, stemmt sich eine Reihe von Staaten des „globalen Südens“ schon deshalb dagegen, weil sie sich diese Strafmaßnahmen einfach nicht leisten können.
Viele Staaten können sich Sanktionen nicht leisten
Das gilt beispielsweise für Argentinien, Brasilien, China, Indien, Indonesien, Mexiko, Saudi-Arabien, Südafrika und die Türkei. Es ist jedenfalls kein Zufall, dass es sich bei jenen Staaten, die Sanktionen mittragen, um reiche Länder handelt.
„Wirtschaftliche Verflechtung macht angreifbar.“
Josef Braml
Hinzu kommt ein
weiterer Aspekt:
Im
geopolitischen Großkonflikt unserer Zeit setzen die USA und China
Wirtschaft als
Waffe ein, um ihre strategischen Ziele zu erreichen. Die durch Russlands Aggression gegen die Ukraine zusätzlich gestörten Lieferketten deuten auf einen forcierten Prozess der
Deglobalisierung hin. Denn wirtschaftliche Verflechtung macht angreifbar, gerade Deutschland kann wegen seiner Gasabhängigkeit von Russland ein Lied davon singen.
Deshalb ist
„Resilienz“ in diesen Tagen ein gern gebrauchtes Schlagwort – auf Kosten von Effizienz, etwa die international vernetzte Just-in-time-Produktion. Dieses „Friendshoring“, „Nearshoring“ oder „Reshoring“ bedeutet: Westliche Unternehmen verlagern ihre Produktion zurück nach Hause, statt auf russische oder chinesische Lieferanten zu setzen. Für Deutschland und Europa dürfte das
gravierende Folgen haben.
Welche Konsequenzen eine Entkoppelung schon kurz- und mittelfristig nach sich ziehen kann, war bereits in der Coronakrise zu besichtigen. Als die Container aus China zu Beginn der Pandemie ausblieben, fehlten schnell wichtige Grundstoffe und Alltagsprodukte. Nachdem die Wirtschaft dann allmählich wieder in Gang kam, verursachten die nach wie vor gestörten Lieferketten erhebliche Nachschubprobleme – und trieben die Inflation in lange nicht gekannte Höhen.
Betriebe man jetzt im Sinne Washingtons eine weitere Entflechtung der westlichen Volkswirtschaften von China, würde das die Inflationsspirale zusätzlich anheizen – ein
Spiel mit dem Feuer, das nicht im Interesse Europas wäre. Auch gegenüber Russland beginnt die Sanktionsfront des Westens zu bröckeln, weil immer deutlicher wird:
Wirtschaftswaffen sind zweischneidige Schwerter.
Das ohnehin löchrige Ölembargo gegen Russland etwa hat angesichts der dadurch verursachten Preissteigerungen den makabren Effekt, dass in den russischen Staatshaushalt n
icht weniger, sondern
mehr Gelder als zuvor fließen. Gleichzeitig
bedrohen die Sanktionen den
Wohlstand westlicher Gesellschaften.
Große Gefahren für Schwellenländer
Inzwischen rät
US-Finanzministerin Janet Yellen aus eigenem Interesse den
Europäern sogar
davon ab, russische Öllieferungen
vollständig zu boykottieren. Denn die höheren Ölpreise befeuern die Inflation und zwingen die US-Notenbank zu einer immer restriktiveren Geldpolitik, die wiederum zu weiteren Einbrüchen an den US-Aktienmärkten und der US-Wirtschaft führen dürfte. Allerdings: Weit stärker als westliche Volkswirtschaften sind von der Sanktionspolitik und ihren Folgen die Schwellen- und Entwicklungsländer betroffen.
Das gilt insbesondere für jene Staaten, die sich in der US-Währung
verschuldet haben. Ihnen drohen schon jetzt wegen des gestiegenen Dollar-Kurses ernsthafte Zahlungsschwierigkeiten. Außerdem müssen die Schwellen- und Entwicklungsländer befürchten, dass im Zuge der restriktiveren Geldpolitiken westlicher Notenbanken massiv Investitionsmittel abfließen. Ohnehin ist die Gefahr gleichzeitiger Wachstums-, Energie-, Nahrungsmittel- und Schuldenkrisen für viele Länder schon mehr als besorgniserregend.
Vor diesem Hintergrund ist die
Weigerung etwa von Indien, Indonesien und Südafrika, sich den westlichen Sanktionen anzuschließen, nur
konsequent. So gesehen konnte vom jüngsten G7-Gipfel auf Schloss Elmau trotz aller hehren Rhetorik gar
kein gemeinsames Signal starker Demokratien ausgehen.
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