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Flaschengeist
Dir war nicht bekannt, dass in unseren Demokratien staatlicher Terror gegen die eigenen Bürger verübt wird? Das entschuldigt natürlich vieler deiner Beiträge hierzuforum.
«Man musste Zivilisten angreifen, die Männer, Frauen, Kinder, unschuldige Menschen, unbekannte Menschen, die weit weg vom politischen Spiel waren», erklärte Vincenzo Vinciguerra, der von Untersuchungsrichter Casson als Täter eines Anschlages überführt worden war. «Der Grund dafür war einfach. Die Anschläge sollten die Menschen, das italienische Volk, dazu bringen, den Staat um grössere Sicherheit zu bitten. Diese politische Logik liegt hinter all den Massakern und Terroranschlägen, welche ohne richterliches Urteil bleiben, weil der Staat sich nicht selber verurteilen kann, er kann sich nicht selber für das Geschehene verantwortlich erklären.»
Für die gegenwärtige Terrorismusforschung ist der Fall Gladio deshalb relevant, weil der Untersuchungsrichter Felice Casson, der die Zusammenhänge als Erster aufgedeckt hatte und Andreotti zu seinem Geständnis nötigte, in Italien die «Strategie der Spannung» an die Öffentlichkeit brachte.
Aufgrund von Dokumenten des militärischen Geheimdienstes zur «Operation Gladio» konnte Casson beweisen, dass die Geheimarmee neben dem äusseren Feind, der sowjetischen Armee, auch einen inneren Feind bekämpfen musste: die starke Kommunistische Partei (PCI) und die kleinere Sozialistische Partei (PSI). Denn das Pentagon in Washington wie auch der italienische militärische Geheimdienst fürchteten, dass der Einzug der Kommunisten oder der Sozialisten in die italienische Regierung die Nato von innen heraus schwächen würde.
Um dies zu verhindern, wurde mit der «Strategie der Spannung» das Volk in Italien durch Terroranschläge in Angst und Schrecken versetzt, worauf die Bevölkerung nach einem starken autoritären Staat und mehr innerer Sicherheit verlangte. Gleichzeitig wurden die Anschläge durch Manipulation der Spuren durch den militärischen Geheimdienst dem politischen Gegner in die Schuhe geschoben, um die PCI und PSI zu diskreditieren und an der Urne zu schwächen.
Diese Strategie funktionierte und stärkte die italienische Rechte und die Regierung der Democrazia Christiana (DCI), welche während des ganzen Kalten Kriegs in verschiedenen Koalitionen unter Ausschluss der PCI die Regierung bildete. Für die rechtsextremen Terroristen, welche im Rahmen der «Operation Gladio» die «Strategie der Spannung» ausführten und danach durch den militärischen Geheimdienst geschützt wurden, war das Volk ein legitimes Ziel, um indirekt die italienischen Kommunisten zu bekämpfen.
«Man musste Zivilisten angreifen, die Männer, Frauen, Kinder, unschuldige Menschen, unbekannte Menschen, die weit weg vom politischen Spiel waren», erklärte Vincenzo Vinciguerra, der von Untersuchungsrichter Casson als Täter eines Anschlages überführt worden war. «Der Grund dafür war einfach. Die Anschläge sollten die Menschen, das italienische Volk, dazu bringen, den Staat um grössere Sicherheit zu bitten. Diese politische Logik liegt hinter all den Massakern und Terroranschlägen, welche ohne richterliches Urteil bleiben, weil der Staat sich nicht selber verurteilen kann, er kann sich nicht selber für das Geschehene verantwortlich erklären.»
Proteste der EU
Während die amerikanische Regierung von Präsident George Bush senior, die Nato und die CIA jeglichen Kommentar gegenüber den italienischen Senatoren verweigerten, protestierte das Parlament der Europäischen Union sehr heftig, als die geheimen Stay-behind-Armeen entdeckt wurden. «Dieses Europa wird keine Zukunft haben, wenn es nicht auf der Wahrheit und der vollständigen Transparenz seiner Institutionen aufgebaut wird», betonte der italienische Parlamentarier Falqui in der Sonderdebatte der EU am 22. November 1990. «Daher müssen wir wissen, welche und wie viele Gladio-Netzwerke es in den Mitgliedstaaten der EU gibt.» Der französische Parlamentarier Dury teilte diese Bedenken und erklärte: «Was uns am meisten an dieser Gladio-Affäre beunruhigt, ist die Tatsache, dass diese Netzwerke unsichtbar und ohne jede Kontrolle der demokratischen Vertreter existieren konnten.» Darauf verurteilte das EU-Parlament mit einer Resolution, gerichtet an die USA und die Nato, die Geheimarmeen scharf und forderte die Mitgliedstaaten dazu auf, ihre nationalen Geheimarmeen genau und öffentlich zu untersuchen.
Gescheiterte Debatte
Nicht nur die USA, sondern auch die Länder Europas taten sich jedoch schwer, das Thema der Nato-Geheimarmeen demokratisch und öffentlich zu bewältigen. Die Verbindungen zum Terror sind bis heute höchst brisant; zudem bereiteten sich 1990 viele europäische Länder zusammen mit den USA auf einen Krieg gegen Saddam Hussein vor. Die Regierung François Mitterrands bestätigte die Existenz einer Geheimarmee in Frankreich erst, nachdem Andreotti darauf hingewiesen hatte, dass auch französische Generäle am letzten internationalen Stay-behind-Treffen des zuvor unbekannten Allied Clandestine Committee (ACC) der Nato am 23. und 24. Oktober 1990 in Brüssel teilgenommen hatten.
In Deutschland wollte die oppositionelle sozialdemokratische SPD das Thema der Nato-Geheimarmeen als Plattform gegen die regierende CDU von Bundeskanzler Helmut Kohl aufbauen, um kurz vor den ersten gesamtdeutschen Wahlen nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung Stimmen zu gewinnen. Nachdem bekannt geworden war, dass ehemalige SS-Angehörige im deutschen Stay-behind aktiv waren, bezeichnete der SPD-Sicherheitsexperte Hermann Scheer die Geheimarmee in Deutschland als «Ku Klux Klan» und forderte das Einschreiten der Justiz. Darauf wies die CDU Scheer darauf hin, dass auch SPD-Verteidigungsminister Helmut Schmidt, der spätere Bundeskanzler, das Stay-behind-Geheimnis während seiner Zeit in der Regierung gehütet hatte, worauf die SPD im Parlament zusammen mit der CDU für eine Untersuchung hinter verschlossenen Türen stimmte.
In Belgien forderte der sozialistische Verteidigungsminister Guy Coeme selbst eine rasche parlamentarische Untersuchung, mit dem spezifischen Auftrag zu klären, ob die belgische Nato- Geheimarmee in den sogenannten Brabant-Terror der 1980er Jahre verwickelt war, bei dem Menschen in Einkaufszentren wahllos erschossen wurden.
Die Senatoren bestätigten in ihrem öffentlichen Abschlussbericht, dass unter dem Decknamen SDRA8 auch in Belgien als Untereinheit des militärischen Geheimdienstes SGR (Service Général de Renseignement) eine Stay-behind-Geheimarmee aktiv war. Es war ihnen aber nicht möglich, die Frage nach der Verbindung mit dem Terror abschliessend zu beantworten, da sich SGR-Direktor Bernard Legrand strikt weigerte, die Namen der SDRA8-Mitglieder zu veröffentlichen; dies, obschon die Senatoren betonten, dass die Exekutive ihnen gemäss der Verfassung antworten müsse, und obschon innerhalb der Exekutive der Vorgesetzte von Legrand, Verteidigungsminister Coeme, die Freigabe der Namen explizit angeordnet hatte.
In Spanien erklärte der ehemalige Verteidigungsminister Alberto Oliart, dass es «kindisch» sei zu fragen, ob unter der Diktatur von Franco eine geheime konservative Armee im Land existiert habe: «Hier war Gladio die Regierung.» In Griechenland, so erklärte der ehemalige Premierminister Andreas Papandreou, habe er schon 1984 eine geheime Nato-Armee entdeckt und darauf aufgelöst. Während die Presse über eine Verwicklung der Geheimarmee in den Militärputsch von 1967 spekulierte, bestätigte der ehemalige Verteidigungsminister Nikos Kouris, dass ähnlich wie bei Gladio in Italien auch in Griechenland die CIA direkte Verbindungen zum Stay-behind- Netzwerk unterhielt.
P-26 in der Schweiz
Die neutralen Länder Schweiz, Schweden, Österreich und Finnland hatten am Ende des Kalten Krieges aus verständlichen Gründen Mühe, die doppelte Frage zu klären, ob es in ihrem Land eine Stay-behind-Geheimarmee gebe oder gegeben habe und ob diese Teil des Nato- Netzwerkes gewesen sei. In Schweden mochte die Regierung nicht auf das Thema eingehen, während der ehemalige CIA-Direktor William Colby die Existenz eines Stay-behind-Netzes im Land bestätigte. In Österreich fragte 1991 der grüne Parlamentarier Peter Pilz die Regierung nach «Aktivitäten des Geheimdienstes Gladio, oder eines anderen, der Nato nahestehenden Nachrichtendienstes, auf österreichischem Territorium», worauf das Innenministerium und das Verteidigungsministerium die Existenz einer Geheimarmee verneinten. Fünf Jahre später wurden jedoch die vorher geheimen CIA-Waffenlager des österreichischen Stay-behind-Netzes entdeckt, worauf Bundespräsident Klestil und Kanzler Vranitzky heftig gegen die Verletzung der Neutralität gegenüber den USA protestierten.
In Finnland, wo die Besetzung durch die Sowjetunion das Denken der militärischen Strategen prägte, wollten nach dem Ende des Kalten Krieges weder das Parlament noch die Regierung das sensible Thema der Nato-Geheimarmeen besprechen. Verteidigungsministerin Elisabeth Rehn erklärte, sie halte das alles für «ein Märchen» oder «zumindest für eine unglaubliche Geschichte, von der ich nichts weiss». Dave Whipple, der die CIA-Station in Helsinki von 1970 bis 1976 geleitet hatte, bestätigte jedoch in den USA, dass auch Finnland Teil des Nato-Netzwerkes war.
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