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Bundeswirtschaftsministerin Reiche verwies auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. "Alte Gewissheiten sind verschwunden", sagte sie. Aufrüstung sei nicht nur sicherheitspolitisch geboten, sondern auch eine wirtschaftliche und technologische Chance für Deutschland.“
Interessanter Artikel ueber arabische Juden (Misrachim) und die Leidensgeschichte ihrer Diskriminierung in Israel:
NZZ / 17.08.2023 / von Richard C. Schneider
Arabische Juden in Israel – ihre lange Geschichte der Diskriminierung spaltet bis heute das Land
Um den gegenwärtigen Streit in Israel um die Justizreform zu verstehen, lohnt sich ein Blick zurück: auf den Kampf zwischen orientalischen und europäischstämmigen Juden. Es geht um Vorherrschaft und die Frage, was wichtiger ist: Demokratie oder Judentum.
Seit Monaten tobt in Israel der Kampf um die politische Zukunft des Landes. Die rechteste und religiöseste Regierung in der Geschichte des jüdischen Staates will mit ihrer Justizreform die Gewaltenteilung stark einschränken. Das Oberste Gericht – die einzige Instanz, die die Regierung kontrollieren kann – würde genau diese Kontrollfunktion weitestgehend verlieren.
Die Gründe für die Reform sind vielfältig. Da ist das Interesse von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, seinen laufenden Prozess wegen mutmasslicher Korruption in drei Fällen zu beenden. Dann sind da die rechtsextremen Siedlerparteien, die sowohl eine Annexion der besetzten Gebiete als auch – wie die ultraorthodoxen Parteien – einen theokratischen Staat anstreben. Und dann ist da der Kampf zwischen den misrachischen und den aschkenasischen Juden.
Als Misrachim («misrach» bedeutet «Ost») werden Juden bezeichnet, deren Vorfahren aus den orientalischen oder nordafrikanischen Ländern stammen. Die Aschkenasim sind vor allem europäischstämmige Juden. Im Rahmen der Operation «Fliegender Teppich» wurden 1949 und 1950 Zehntausende Juden aus Jemen ausgeflogen.
Die orientalischen Juden fühlen sich unterlegen
Viele misrachische Juden verachten die angeblichen Machtinstrumente der aschkenasischen «Elite», zu denen in ihren Augen auch das Oberste Gericht gehört. Die Wut auf die Aschkenasim, verbunden mit dem Unterlegenheitsgefühl vieler Misrachim, ist eine der vielen Spannungslinien, die die israelische Gesellschaft seit ihren Anfängen durchzieht.
Der Zionismus ist ein Projekt der europäischen Juden. Von den russischen Vordenkern über den Österreicher Theodor Herzl bis zu David Ben Gurion oder Chaim Weizmann waren alle Aschkenasim. Sie wollten sich mit der Gründung des Judenstaates vom Antisemitismus Europas befreien. Europäische Juden bauten Israel auf, sie waren überwiegend sozialistische und sozialdemokratische Europäer. Bis 1977 stellten ihre Parteien die Regierung, sie formten den Staat, bildeten politische und wirtschaftliche Netzwerke.
Bereits vor der Staatsgründung lebten arabische Juden in Palästina. Ihre Vorfahren hatten «Eretz Israel», das Land Israel, seit Generationen nicht verlassen. Die Mehrheit der jüdischen Einwanderer am Anfang der zionistischen Bewegung waren jedoch Aschkenasim. Viele von ihnen hatten eine säkulare Ausbildung, hatten studiert, kannten die europäische Literatur, die klassische Musik, konnten Sprachen wie Deutsch, Russisch, Französisch, Englisch oder Jiddisch. Kurz: Sie waren Europäer durch und durch.
Viele dieser Einwanderer waren typisch europäische Ethnozentristen. Sie fanden schnell alles «primitiv», was nicht europäisch war. Das wurde damals nicht als Rassismus verstanden, sondern als «ganz normale» Überlegenheit gegenüber Arabern. Dies empfanden sie auch gegenüber jenen Juden, die aus den orientalischen Ländern einzuwandern begannen: unter anderem aus dem Irak, Jemen und Marokko.
Nach der Ankunft in Israel warteten Auffanglager
Sie wurden nach der Staatsgründung Israels aus ihren arabischen Heimatstaaten vertrieben und flohen. Andere wollten nach Zion, weil sie gläubig waren und immer auf eine Rückkehr ins Gelobte Land gehofft hatten. Die aschkenasischen Zionistenführer holten sie, weil Israel Heimat für alle Juden sein sollte. Viele Misrachim hatten keine besonders gute Ausbildung und sprachen nur Arabisch oder Aramäisch.
David Ben Gurion, Gründungsvater und erster Ministerpräsident des jüdischen Staates, behandelte diese Neuankömmlinge nicht zuvorkommend. Als sie ankamen, wurden sie mit dem Insektizid DDT «abgeduscht», damit das Ungeziefer, das sie angeblich mitbrachten, abgetötet wurde.
Ben Gurion wollte die Misrachim nutzen, um die Randgebiete des damals noch winzigen Israel zu besiedeln. Man brauchte und wollte sie nicht in den grossen Städten. Die Grosseltern der Misrachim von heute wurden zunächst in Auffanglagern untergebracht, teilweise innerhalb der Städte, wie in Jerusalem. Viele wurden in die Peripherie des Landes abgeschoben, andere aber blieben hängen in den Städten, meistens in ärmeren Quartieren. Das soziale Gefälle zwischen Misrachim und Aschkenasim war lange deutlich sicht- und spürbar.
Waren alle Misrachim also arm und schlecht ausgebildet? Natürlich nicht. Im Irak beispielsweise gab es eine jüdische Elite von Ärzten, Anwälten, Richtern, Bankern, die die Geschicke des Landes intensiv mitgestaltet hatten. Im aschkenasischen Israel hatten sie dennoch schwierige Startbedingungen. Es gab misrachische Erfolgsgeschichten, aber die Grundstimmung der Zeit damals war eine der empfundenen Minderwertigkeit und Diskriminierung.
...
Begin gab den Misrachim eine Stimme
Ironischerweise war es ein Aschkenasi, der den orientalischen Juden schliesslich eine politische Stimme gab: Menachem Begin, ein langjähriger Oppositionsführer in der Knesset. Nach 29 Jahren Herrschaft der Linken gewann er die Parlamentswahlen 1977 und wurde Israels erster rechter Ministerpräsident. Gelungen war ihm das mithilfe der Stimmen der orientalischen Juden.
Begin hatte früh ihr Potenzial erkannt und sich als einer von ihnen gezeigt: Auch seine Stimme, die der Rechten, werde nie gehört; auch er und seine Partei, der Likud, gehörten zu den Unterlegenen; und auch er werde von der aschkenasischen Elite kleingehalten. Menachem Begin, der aschkenasische Pole, überzeugte so die Misrachim, dass sie im selben Boot sässen.
Seine nationalistisch-traditionalistischen Töne kamen bei den eher konservativen und traditionell religiösen arabischen Juden gut an. Dabei übersahen sie, dass er ein europäischer, hochgebildeter Mann war und dass er im Grunde zur Elite gehörte. So ist es bis heute geblieben. Denn auch der Regierungschef Benjamin Netanyahu ist Teil der aschkenasischen Elite – er war einst Soldat der Spezialeinheit Sayeret Matkal und ist Absolvent der amerikanischen Eliteuniversität Massachusetts Institute of Technology. Trotzdem kann er seine misrachischen Wähler immer wieder davon überzeugen, dass er einer der ihren sei.
Der bedeutende Aufstieg der Schas-Partei
Begin gab als Ministerpräsident den orientalischen Juden zwar eine Stimme, doch ihre eigentliche Revolution begann 1984. Damals entstand die ultraorthodoxe misrachische Schas-Partei. Sie war schon bald in vielen Regierungskoalitionen zu finden. Anfangs gemässigt, wurde sie mit den Jahren immer extremistischer in ihren politischen Positionen.
Schas will die Stimme jener sein, die bis heute benachteiligt werden. Absurderweise sorgt die Partei aber dafür, dass die Armut in weiten Teilen der misrachischen Gemeinschaft weiter andauert. Ihre Wähler sind überwiegend einfache Bürger – Arbeiter, Handwerker, Taxifahrer, Verkäufer auf Märkten. Paare haben oft mehr als drei Kinder, und sie müssen Tag und Nacht arbeiten, während die älteren Geschwister nach der Schule auf die Jüngeren aufpassen.
Die Schas-Partei baute ein soziales Netzwerk auf, um den Armen dort zu helfen, wo der Staat sie im Stich liess. Bis heute holt Schas Kinder der misrachischen Unterschicht von der Strasse, gibt ihnen ein warmes Mittagessen in ihren Religionsschulen. Doch dort lernen die Kinder kaum etwas, was sie für einen sozialen Aufstieg brauchen: Viel Thora und Talmud, Basiswissen in Mathematik und Ähnliches, doch das reicht nicht. Im Grunde perpetuiert die Partei damit die Armut und behält so ihre Wählerschaft. Aufgeklärte, erfolgreiche Misrachim wählen Schas längst nicht mehr.
Judentum ist wichtiger als Demokratie
Die Schas-Partei wurde gegründet und aufgebaut von dem inzwischen verstorbenen Rabbi Ovadia Yosef sowie von Aryeh Deri, der in den vergangenen Jahrzehnten in verschiedenen Regierungen als Minister sass und inzwischen ein enger Verbündeter von Benjamin Netanyahu ist. Noch in Marokko geboren, wurde Deri ein brillanter Talmudgelehrter, dem es schnell gelang, in der politischen Welt der Aschkenasim zu reüssieren.
Besonders prägend für Schas wurde die Verurteilung Deris zu drei Jahren Haft wegen Korruption im Jahr 1999. Dem Parteichef gelang es, seine Verurteilung als Hetzjagd der mächtigen aschkenasischen Justiz gegen einen aufstrebenden misrachischen Politiker darzustellen. Seine Anhänger kauften ihm das ab. Es ist kein Zufall, dass Netanyahu heute bei seinem Korruptionsprozess eine ähnliche Strategie verfolgt. Seine PR-Leute schaffen eine Erzählung, in der seine Anklage als eine Art Wiederholung des Deri-Prozesses interpretiert wird. Auch Netanyahu stellt sich als Opfer der übermächtigen Justiz dar.
Seine politische Macht hatte Aryeh Deri in den kleinen misrachischen Synagogen aufgebaut mit Unterstützung der Rabbiner. Deri brauchte die religiös-orientalische Praxis als Basis für eine neue Identität: das «zweite Israel», das dem «ersten Israel» gegenüberstehe. Eine Trennlinie und eine Kampfansage an das säkulare Establishment, das in diesem Weltbild nicht als Vertreter eines echten Judentums angesehen wird.
Die Schas-Partei dagegen geriert sich als Hüter eines religiösen Nationalismus, dem das Judentum wichtiger ist als die Demokratie. Diese Interpretation des Judentums wird als der Demokratie überlegen propagiert, eigentlich sogar als Antipode. Darum müsse sich der Staat grundlegend verändern, darum müsse das Oberste Gericht seiner Macht beraubt werden, da es als letzte Bastion der «Eliten» Israels wahre Bestimmung durch eine westlich-liberale Rechtsprechung verhindere.
Dieser national-theologische Ansatz findet sich längst auch bei rechten aschkenasischen Parteien wie dem Likud von Netanyahu, dessen loyalste Anhänger Misrachim sind. Was sie gerne beiseiteschieben: Die Misrachim sind mittlerweile in allen Bereichen des israelischen Lebens etabliert und integriert. Eine Realität, die mit ihrem Weltbild nicht zusammenpasst. Aber das spielt in Zeiten wie diesen keine Rolle. In Zeiten, in denen es darum geht, Israels Identität grundlegend neu zu definieren.
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" Streicht die Kuechenabfaelle fuer die Aussaetzigen! Keine Gnade mehr bei Hinrichtungen!
Und sagt Weihnachten ab! "
(Sheriff von Nottingham)
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„Der nächste Krieg in Europa wird ein Krieg zwischen Russland und dem Faschismus sein. Nur die westliche Welt wird diesen Faschismus als Demokratie bezeichnen.“ *Fidel Castro 1992*
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