ZEIT GESCHICHTE NR. 04/2022 (Auszug)
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Der Führer der Roten Khmer, wie die Kommunisten in Kambodscha hießen, wurde am 19. Mai1928 in einem Dorf 170 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt
Phnom Penh geboren.
Saloth Sar war das
achte von
neun Kindern eines
Großgrundbesitzers. Zwei seiner älteren Geschwister, zu denen die Eltern ihn schickten, als er sechs war, lebten am
Hof des
Königs in Phnom Penh. Dort ging Sar als
Novize in ein
buddhistisches Kloster.
Nach dem
Gymnasium und der
Technischen Hochschule in Phnom Penh – Kambodscha war noch eine französische Kolonie – wurde er 1949 mit einem
Stipendium an die
École Française de Radioélectricité in Paris geschickt. "Es ist himmlisch", schrieb Saloth Sar von dort an einen Bruder, "aber auch wahnsinnig teuer. Kannst du mir ein bisschen Geldschicken?" Er verliebte sich in die kambodschanische Studentin Khieu Ponnary, acht Jahre älter als er, und heiratete sie. In
Paris wurde
Sar auch
Kommunist. Er begann
Mao zu lesen, reiste nach
Jugoslawien und 1951 zu den
Jugendweltfestspielen nach Berlin, in die Hauptstadt der
DDR.
Seine ersten Artikel für einen Rundbrief linker Studenten aus Kambodscha in Frankreich zeichnete er mit
"Der Original-Khmer". Die Ethnie der
Khmer machte mehr als neun Zehntel der Kambodschaner aus. Sar war von Beginn an
Nationalist, wollte
Kambodscha zu alter Größe führen, der des um das Jahr
800 entstandenen
Reichs von
Angkor. Zunächst fiel er dreimal bei Prüfungen durch, worauf sein Stipendium
gestrichen wurde. Nach seiner Heimkehr lehrte er an einer
Privatschule in
Phnom Penh.
In Pol Pots offizieller Biografie hieß es später, er sei am 30. September 1960 einer der
Gründer der geheimen
Kommunistischen Partei Kamputscheas (KPK) gewesen. Damals herrschte
Prinz Sihanouk, dessen Partei bei zweifelhaften Wahlen deutlich gesiegt hatte. Die
Korruption war
flagrant, und die Kommunisten wurden
hart verfolgt. Nur bei armen Bauern und ethnischen Minderheiten fanden sie Unterstützung. Im Juli 1962 verschwand der Generalsekretär der KPK, und es spricht einiges dafür, dass Saloth Sar und ein paar Genossen ihn ermorden ließen, weil er ihnen zu
moderat war. Sar wurde zum
Nachfolger gewählt. In einem seiner raren Interviews erinnerte er sich 1978 gegenüber jugoslawischen Journalisten:
"1963 konnte ich nicht mehr in Phnom Penh bleiben, ich musste in den maquis [Untergrund] gehen. Ich war nicht sehr bekannt, aber die Polizei überwachte mich."
Wer war dieser Saloth Sar?
Prinz Sihanouk, der später
Bündnisse mit ihm einging, beschrieb ihn als stets
lächelnden und
höflichen Mann. Auch Schulkameraden kannten ihn als
ausgeglichenen Zeitgenossen. Keine außergewöhnliche Erscheinung, aber im
kleinen Kreise ein
guter Redner. Seine Genossen nannten ihn
"Bong ti muoy",
Bruder Nummer eins. Mit einem Dutzend von ihnen gründete er ein Hauptquartier mit dem Decknamen
"Büro 100". Äußerste Geheimhaltung mit paranoiden Zügen prägte die
Kommunikation der
Kommunisten Anfang der Siebzigerjahre im
Bürgerkrieg gegen die
Regierungstruppen.
Klandestin reiste Sar nach
China und
Nordvietnam, wo ihn die Genossen fast ein Jahr lang ausbildeten. In Peking lernte er Mao Zedong kennen, der gerade die
"Große proletarische Kulturrevolution" losgetreten hatte. Der
"große Steuermann" wurde sein Vorbild.
An die
Macht brachte ihn und seine Genossen schließlich vor allem die
Regierung der
USA, die sich seit den frühen Sechzigerjahren unter
Präsident John F. Kennedy immer tiefer in einen
unerklärten und
ziellosen Krieg gegen die
nordvietnamesischen Kommunisten verstrickt hatte.
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Letztere transportierten ihren
Nachschub durch Kambodscha auf dem
sogenannten
Ho-Chi-Minh-Pfad nach
Südvietnam, wo sie die
von den
USA unterstützte
Militärdiktatur bekämpften. Präsident
Richard Nixon und sein Sicherheitsberater
Henry Kissinger ließen
deshalb das neutrale Kambodscha vom
März 1969 an
illegal und
heimlich bombardieren.
Bei mehr als
3000 Einsätzen warfen Flugzeuge der
U. S. Air Force mehr
Bomben auf das kleine Land ab als im
Zweiten Weltkrieg auf Japan.
Etwa eine
halbe Million kambodschanische
Zivilisten starben bei diesen
Kriegsverbrechen, immer mehr schlossen sich den
Kommunisten an.
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Den Kapitalismus mit einem gewaltigen Sprung überwinden
Am
17. April 1975 fanden die traumatisierenden Jahre aus
Bürgerkrieg und
Flächenbombardements ein Ende; kampflos marschierten die
Roten Khmer in der Hauptstadt
Phnom Penh ein. Sie trugen schwarze Bauernhosen und -jacken sowie
AK-47-Schnellfeuergewehre.
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Die
Roten Khmer nannten sich jetzt nur
"Angkar", Organisation. Zwei Monate nach der Eroberung des ganzen Landes flog Pol Pot nach
Peking, wo ihn
Mao Zedong lobte:
"Ihr habt einen großartigen Sieg errungen, der eure Gesellschaft mit einem Schlag klassenlos macht[...]. Für jeden Schritt voran in China legen unsere kambodschanischen Genossen zwei vor."
In der Tat waren Pol Pot und seine Roten Khmer
Radikal-Maoisten, die den
Kapitalismus mit einem gewaltigen Sprung
überwinden wollten. Dabei gingen sie brutal gegen Genossen aus den eigenen Reihen vor, die durch abweichende Meinungen auffielen; sie ließen sie foltern, bis sie gestanden,
Agenten des
US-Geheimdienstes CIA zu sein oder mit den Vietnamesen
sympathisierende Vaterlandsverräter.
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Die
Roten Khmer entvölkerten die Städte; die aufs Land umgesiedelten Bewohner nannten sie
"Neue Menschen". Diese sollten
umgehend umerzogen werden. Da die
KPK, als sie an die Macht kam, nur über
14.000 Mitglieder und weniger als
70.000 Soldaten verfügte, stand für sie der
"Klassenkampf" im Mittelpunkt, das
Ausschalten vermeintlicher und tatsächlicher
Gegner.
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Der
"Neue Mensch" sollte mit einem großen Sprung geschaffen werden. Das für die Roten Khmer geläufige Etikett "Steinzeitkommunismus" ist falsch, denn sie wollten auf der
Grundlage einer
florierenden Landwirtschaft Industrien aufbauen. Gleichzeitig waren sie Rassisten und ließen Chinesen, Vietnamesen und andere ethnische Minderheiten umbringen. Und sie begannen einen Krieg gegen die übermächtigen vietnamesischen Nachbarn.
Der Kult um Pol Pot
Über allem lag eine paranoide Geheimhaltung. Erst am 22. März 1976 meldete Radio Phnom Penh, dass ein Genosse namens Pol Pot als Vertreter der Gummi-Plantagen-Arbeiter in die Volksvertreterversammlung gewählt worden sei. Kurz darauf gab die
"Stimme des Demokratischen Kamputschea" die Wahl Pol Pots zum
Premierminister bekannt. Endgültig wurde das Geheimnis, wer sich hinter diesem
Nom de Guerre verbarg, von
Radio Pjöngjang gelüftet, das einen Lebenslauf sendete, der dem von Saloth Sar glich.
1978 etablierte dann auch Pol Pot, der stets im Verborgenen gelebt hatte, einen Kult um seine Person. In den Kantinen der Volkskommunen wurden Porträts von ihm aufgehängt. Büsten wurden gefertigt. Er gab sogar zwei amerikanischen Journalisten ein Interview, in dem erallerdings dozierte und keine Fragen beantwortete. Am 24. Dezember 1978 begann das Ende der Herrschaft von Pol Pot.
Die kampferprobtevietnamesische Volksarmee griff Kambodscha mit mehr als 100.000 Soldaten an. Am Morgendes 7. Januar 1979 flogen Pol Pot und seine Vertrauten in zwei Hubschraubern nach Thailand. Nur Stunden später marschierten die Vietnamesen in Phnom Penh ein und befreiten die Hauptstadt Kambodschas auf ein Neues. Sie etablierten einen "Volksrevolutionsrat" unter Führung von Heng Samrin und Hun Sen – zwei vormaligen Rote-Khmer-Kadern, die nach Vietnam geflohen waren, weil Pol Pot sie ermorden lassen wollte.
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Hun Sen ist noch heute
Premierminister und hat
Kambodscha
in eine
kapitalistische Diktatur überführt.
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