Ideengeschichte die Kibbuz (Auszug)
Kapitalismus
Während Sozialisten in vielen Gesellschaften Europas der Klassenkampf als wichtigstes Merkmal den Klassenkampf auf ihre Fahnen hefteten und den Kapitalismus und die Gesellschaftsordnung die er hervorbrachte vernichten wollten, arrangierten sich die beiden Geistesströmungen in Palästina. Für Kritiker sind die Kibbuzim mit der Entwicklung hin zu Lohnarbeit und Industrie ohne sich in das normale Entlohnungsschema anzupassen sehr wohl aber das Preisschema der kapitalistischen Makroökonomie anzuwenden gar die Vertreter eines
„kollektiven Kapitalismus“.
Einer der ersten
** Käufer von
Land im
19. Jahrhundert war der französische Jude
Baron Edmund de Rothschild, der das erworbene Land in Größe von
27.500 Hektar der
Jewish Colonizatan Agency JCA unter der Leitung von
Baron Maurice de Hirsch. Die
Jewish Colonization Agency war
1893 gegründet worden,
1898 folgte die
Jüdische Kolonial-Treuhand-Gesellschaft,
1901 wurde der Jüdische
Nationalfonds gegründet und
1902 folgte die
Anglo Palestine Bank.
Ziel war es, möglichst viele Juden nach Palästina zu bringen, was ohne die Unterstützung von Kapitalisten wie Rothschild wohl unmöglich gewesen wäre.
Der
politische Zionismus Herzls hatte sich als Ziel auf Basis eines alten Gedankens von
Yehuda Hai Alkalai durchgesetzt
auf Kosten Ahad Haams, der vor der Besiedlung die Bildung einer
nationalen Identität forderte. Klar deklariertes Ziel war es nun die Bildung eines
Territorialstaats voranzutreiben.
Alkalai, der im 19. Jahrhundert als Rabbi im Osmanischen Reich arbeitete, sah den Weg das Land zu besiedeln allerdings nur dann als möglich an, wenn es vor einer
Masseneinwanderung bestellt und bearbeitet wird.
Alkalai war einer der ersten Zionisten, die die
Besiedlung, zwar vor einem religiösen Hintergrund, in einen
praktischen Kontext stellten und vom
rein orthodox-religiösen Gedankengut befreiten. Die Kibbuzim, die zwar die Ankunft des Messias nicht als finales Ziel deklarierten, waren in diese Sinn sehr hilfreich als eine Art
Vorposten der vollständigen Besiedlung Palästinas.
Ein anderer sehr früher Denker, der die
Notwendigkeit der Finanzierung der Rückkehr der Juden ins Heilige voraussah, war
Rabbi Zwi Hirsch Kalischer, ein Vertreter des
religiösen Zionismus. Dabei nahm er die reichen jüdischen Familien wie die
Rothschilds oder die
Montefiores in die Pflicht. Sie sollten es sein, die den jüdischen Siedlern den Start in Palästina durch landwirtschaftliche Ausbildung ermöglichen.
Ein Mix an
unterschiedlichsten Ideologien mit
demselben Ziel wurde schließlich in die Praxis umgesetzt. Unter Dr. Albert Ruppin sollte es ab
1907 soweit sein. Auf der
Kinneret Farm wurden die
zukünftigen Pioniere des Kibbuz
Degania zu fähigen
Landwirten erzogen.
Der Gedanke des religiösen Rabbi Kalischer durch landwirtschiftliche Ausbildung die Kolonisation voranzutreiben wurde von sozialistischen, jüdischen Pionieren mit Unterstützung der vom Kapitalismus getragenen, zionistischen Institutionen in die Tat umgesetzt.
Auch die weitere Entwicklung war davon getragen, dass sich Kapitalismus und Sozialismus nicht unangenehm in die Quere kamen. Als sich die Kibbuzim in den Jahren nach dem Sechstagekrieg von der Landwirtschaft in Richtung Industrie und anderer Gewerbe stärker öffneten war es nicht unüblich, dass Lohnarbeiter von außerhalb zur Unterstützung eingestellt wurden. Dabei spielte die Gleichheit keine Rolle, die Lohnarbeiter aus den besetzten arabischen Gebieten wurden für die Billigarbeiten herangezogen.
Die Akzeptanz des Kapitalismus trägt wohl auch zum relativ zu anderen Kommunen und Gesellschaften langen Bestehen der Kibbuzidee bei. Anders als in sozialistischen Staaten in Osteuropa gab es Zwang und Klassenkampf nicht. Die Kibbuzim fühlten sich als sozialistische Player in einer kapitalistischen Makroökonomie ebenso wohl wie die Kibbuzniks, die außerhalb der Gemeinschaften einer Lohnarbeit nachgehen konnten wenn dies ihr Wunsch war. Unter den ideologischen Hardlinern mag dies verpönt sein, die breite Masse findet so aber bis heute ein Gleichgewicht zwischen dem Leben innerhalb einer offenen, westlichen Gesellschaft die Israel ist und dem
Sozialismus für den die Kibbuzim stehen.
Nationalismus, Imperialismus und Kolonialismus
Während die Pioniere in den Kibbuzim für viele Linke
sozialistische Helden der Arbeit waren und in Israel bis heute als Sinnbild des Neuen Menschen gesehen werden, stellen die Siedlungen für Israelkritiker ein Werkzeug des Imperialismus und Kolonialismus dar. Die Siedlungen, die oftmals mit Verteidigungsanlagen versehen waren, sollten in erster Linie der Verteidigung dienen, galten ihren Nachbarn aber auch als Ausdruck einer aggressiven Expansionspolitik. Kibbuzim waren von Anfang an mehr als Landarbeiter und Bauern. Der
Schomer, der
bewaffnete Bewacher, war zumindest bis zum Unabhängigkeitskrieg, als es noch keine reguläre israelische Armee gab, ebenso wichtig wie der Agrarier.
Die Kibbuzniks waren nicht unbedingt gern gesehene Gäste in Palästina und mussten sich gegen feindselige Araber und Beduinen erwehren. Mit dem Muskeljudentum Nordaus hielten auch Kampfausbildung und Militarismus im Alltag vieler Juden Einzug.
Vor allem Israelkritiker sehen in den Kibbuzim die Vorposten des Kolonialismus.
Die
enge Verknüpfung von
Palästinenseramt, Jewish Colonization Agency und den
Kibbuzim lässt Vermutungen zu, dass die Besiedlung durch die Kibbuzniks eine Art
Ersatz für
militärisch vorangetriebenen Kolonialismus klassischen Stils bildet. Die Kibbuzim dienten dabei als eine Art
militärische Stützpunkte und
Kontrollstellungen sowie als
Mittel zur
Vertreibung der arabischen Bevölkerung Palästinas.
Auch am berühmt-berüchtigten Massaker von Deir Jassim, bei dem im April 1948 eine bis heute offenbar strittige Anzahl an palästinensischen Zivilisten von israelischen Kämpfern ermordet wurden und das bis heute als eines der umstrittensten Kapitel der Staatswerdung Israels gilt, wurde von einer Einheit
eines Kibbuz durchgeführt. Ebenfalls hoch war der Einfluss der Kibbuzniks auf viele umstrittene Regierungsentscheidungen in der Araberfrage vor allem in den
ersten 20 Jahren des Staates Israel.
Zionisten sahen die
Landnahme von Anfang an als
essentiell an.
Zwi Hirsch Kalischer sah nicht nur das Thema der Ausbildung, sondern auch den
jüdischen Nationalismus voraus. Unter dem Eindruck des zunehmenden Nationalismus in Europa wollte er diesen Weg auch für die Juden der Diaspora eingeschlagen sehen. Das jüdische Volk sollte sich ein Beispiel an den Ungarn, den Italienern oder den Polen nehmen, die nicht davor zurückscheuten ihr Leben für die Nationwerdung zu geben.
Darüber hinaus sieht auch Hirsch voraus, dass ein Auftreten der Juden als Pioniere unumgänglich sein wird. Kalischer sagt hier die zukünftige Möglichkeit der Kibbuzim als selbstständige, landwirtschaftliche Siedlungen erstaunlich genau voraus. Er sieht die Erlösung, die nur durch die Bevölkerung Palästinas, des Heiligen Landes, zwar in einem klassisch-religiösen Sinn durch die Ankunft des Messias am Jüngsten Tag, von hier an zum Nationalismus war es aber nur ein kleiner Schritt in der Denkweise.
Auch Moses Hess war ein Anhänger der Idee des jüdischen Nationalismus auf dem Grund und Boden Palästinas. In seinem Glauben an die Wiederherstellung des Jüdischen Staates beruft sich auch der Sozialist Moses Hess wie Rabbi Kalischer auf den Propheten Isaiah. Er glaubt sehr stark an die Franzosen in der Unterstützung für den Staat Israel im Nahen Osten und auch daran, dass es keinen Widerstand aus Europa geben kann wenn sich Juden Land aus der Hand des bröckelnden osmanischen Reiches herauskaufen und sich als
Bindeglied zwischen
West und
Fernost etablieren.
[Links nur für registrierte Nutzer]