CAMPUS / Wissenschaft
»Asymmetrische Kriege sind die sicherheitspolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts«
* Asymmetrische Kriege tendieren ihrer
inneren Dynamik nach zur völligen
Eskalation und
Entgrenzung. Doch wie kann unsere offene Gesellschaft diese Kriege verhindern oder wenn nötig führen, ohne dabei ihre freiheitliche Lebensweise aufzugeben, die sie doch gerade zu verteidigen strebt? Antworten auf diese Fragen gibt Felix Wassermann, Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin, in seinem Buch
»Asymmetrische Kriege«. Ein Gastbeitrag.
Was ist ein asymmetrischer Krieg?
Kriege gelten als asymmetrisch, wenn die Gegner einander als so unterschiedlich wahrnehmen, dass sie sich wechselseitig nicht mehr als symmetrische Spiegelbilder begreifen wie etwa in einem Krieg
»Staat gegen Staat«.
Beispiele hierfür sind
Auseinandersetzungen zwischen einem
Staat und einem
Terrornetzwerk oder einem
Imperium und einem
Staat. Solche asymmetrischen Konstellationen werden das Kriegsgeschehen im 21. Jahrhundert bestimmen.
Der asymmetrische Krieg ist ein entgrenzter Krieg
Unter Bedingungen großer Asymmetrie erodieren die klaren Grenzziehungen, die den symmetrischen Staatenkrieg der europäischen Geschichte seit dem Westfälischen Frieden von 1648 charakterisierten. Die Grenzen zwischen Soldat und Zivilist, Kombattant und Nonkombattant, Front und Hinterland, Militär und Polizei, Außen- und Innenpolitik, Krieg und Frieden verwischen.
In
asymmetrischen Kriegen gibt es
keine offiziellen Kriegserklärungen und
keine formellen Friedensschlüsse.
Ebenso verlieren klare Fronten, feste territoriale Grenzen, Uniformen mit sichtbaren Hoheitsabzeichen und verbindliche kriegsrechtliche Regeln an Bedeutung.
Die Eskalation der Asymmetrie
Die Ursache dieser Entgrenzung des Krieges liegt in der spezifischen Eskalationsdynamik asymmetrischer Konfrontationen im 21. Jahrhundert. Gegner, die einander als asymmetrisch wahrnehmen, bedienen sich jeweils verschiedener Strategien.
Das Terrornetzwerk, das gegen seine überlegenen Kontrahenten auf konventionellem Weg wenig auszurichten vermag, greift zur asymmetrischen Kriegführung, indem es einseitig auf den Einsatz von Selbstmordattentätern und Cyberattacken setzt. Der Staat, der hierauf nicht in vergleichbarer Weise reagieren kann, sieht sich dazu provoziert, seinerseits in umgekehrter Richtung dem Pfad der Asymmetrierung zu folgen: Er nutzt und vergrößert diejenigen Vorteile, von denen er einseitig profitiert, darunter den technologischen Vorsprung, der ihm den Einsatz von Drohnen und Überwachungssoftware erlaubt.
Die Asymmetrie provoziert zur immer weitergehenden Asymmetrierung
Eine asymmetrische Eskalationsspirale kommt in Gang: Die Asymmetrie befördert die Asymmetrierung, und diese vergrößert wiederum die Asymmetrie. Statt einander wie im symmetrischen Krieg durch Versuche der Resymmetrierung immer wieder nachzuahmen und einzuholen, also einen Kampf mit gleichen Mitteln zu führen, verfolgen die Gegner im asymmetrischen Krieg
gegensätzliche Strategien.
Dadurch dehnt sich der Krieg über seine konventionellen Grenzen hinweg aus und dringt in sämtliche Bereiche des Sozialen ein. Er erobert Gebiete des Virtuellen und Visuellen, des Moralischen und Rechtlichen, des Medialen und Satirischen.
Der sogenannte »Islamische Staat« etwa trägt den Kampf in die Sphären der Medien, der sozialen Netzwerke und des Zivilen sowie Religiösen hinein, indem er mit seinen brutalen Enthauptungsvideos und seinen terroristischen Angriffen auf Karikaturisten und »Ungläubige« die westliche Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit attackiert.
Asymmetrische Kriege als sicherheitspolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts
Wie soll die offene Gesellschaft hierauf reagieren? Wie kann sie asymmetrischen Kriegen begegnen, ohne selbst auf die
»schiefe Bahn« der
Asymmetrie zu gelangen und ihr inneres Gleichgewicht zu verlieren?
Antworten auf diese Fragen zu finden, stellt die eigentliche sicherheitspolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts dar. Um sie zu meistern, ist zuallererst ein zeitgemäßer Kriegsbegriff nötig, der der Asymmetrierung des Kriegsgeschehens entspricht. Erforderlich ist außerdem eine gesamtgesellschaftliche Diskussion:
Wofür und auf welche Weise – symmetrisch oder asymmetrisch – darf, soll und muss gekämpft werden, und wofür nicht?
Solange diese grundlegenden Fragen gesellschaftlich
nicht verhandelt werden, können Politik und Militär schwerlich das richtige Maß bei der Begegnung mit asymmetrischen Kriegen wahren.
Zum Autor
Felix Wassermann, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Theorie der Politik des Instituts für Sozialwissenschaften der HU Berlin.
[Links nur für registrierte Nutzer]