Sicherheitsexperte zu russischem Krieg 
„Putin will die Ukraine nicht besetzen“ – aber einen russischen Vasallenstaat
  Was will Putin erreichen und was droht im Baltikum? Und bringen  Sanktionen etwas, welche Rolle spielt China? Der Militärexperte Carlo  Masala im Interview. 
   
[Links nur für registrierte Nutzer]  Carlo Masala ist renommierter Militärexperte und Professor für  Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Mit  vielen seiner Analysen zum Vorgehen des russischen Präsidenten Wladimir  Putin lag er richtig. Im Interview mit dem Tagesspiegel skizziert er die  mögliche Kriegstaktik Putins und warum der Westen ihn nicht stoppen  kann. 
Herr Professor Masala, sind Sie überrascht von dem Angriff auf die gesamte Ukraine?
Nein,  das überrascht mich nicht, was ich sehe an militärischen Operationen  auf dem Boden. Es geht nicht um die Besetzung der Ukraine. Es geht  darum, Kiew unter Druck zu setzen. Ich gehe davon aus, es geht weiterhin  um den Donbass und um die Krim. Die Landbrücke und damit die Abtrennung  der Gebiete. Da ist jetzt nichts, wo ich sage, das hätte ich so nicht  erwartet.
Aber der Donbass scheint nicht Putins einziges Ziel zu sein, warum wird sonst auch Kiew angegriffen?
Putin hat erstens gesagt,
[Links nur für registrierte Nutzer] was ich mal für bare Münze nehme. 
[Links nur für registrierte Nutzer]die  Ukraine zu demilitarisieren und zu entnazifizieren, was letzten Endes  darauf abzielt, dass er eine andere Regierung haben will. Und er will  die ukrainische Armee, die nicht auf seiner Seite stehen würde, wenn er  die Regierung wechselt, die will er sozusagen kampfunfähig machen. 
Und da ist er jetzt gerade dabei. Also die Frage wird in der Tat jetzt  sein, was passiert jetzt in der nächsten Welle? Gibt es den Versuch, den  Sitz von Präsident Selenskyi anzugreifen? Nach dem Motto: Du gehst  freiwillig oder wir holen dich.
Also läuft es darauf hinaus, aus der Ukraine einen  russisch kontrollierten Vasallenstaat zu machen wie zu Zeiten der  Sowjetunion? Belarus ist das ja de facto schon.
Ja,  deswegen ist diese Aussage mit der Demilitarisierung so interessant. Es  geht hier darum, der ukrainischen Armee das Rückgrat zu brechen, weil  Putin weiß höchstwahrscheinlich, das sind keine Streitkräfte, die sich  auf die Seite einer prorussischen Regierung stellen werden. Also muss er  die kampfunfähig machen. Und damit ist natürlich das Blatt ein anderes.  Da kann man mit Milizen in der Ukraine arbeiten.
Was glauben Sie, was kann Deutschland jetzt machen?
Nichts. 
[Links nur für registrierte Nutzer]herbeiführen  würde und keiner wird da aktiv eingreifen. Alle Spezialisten haben im  Vorfeld gesagt, die Ukraine braucht eine bessere Flugabwehr. Hat aber  keiner geliefert. Wenn die Informationen richtig sind, ist die  ukrainische Flugabwehr innerhalb von fünf Stunden komplett ausgeknockt  worden. Ja, und damit haben die Russen sozusagen die Luftüberlegenheit  in jeder militärischen Kampagne.
Wie wird es die nächsten Tage weitergehen?
Ich  gehe davon aus, dass wir in der zweiten Welle viele Luftlandetruppen  sehen werden. Die strategische Position besetzen und in der dritten  Welle große mechanisierte Verbände, die in die Ukraine eindringen  werden, um diese strategischen Positionen zu halten. Also die zentralen  Kommandozentralen, Fernsehsender, all das Ganze, was sie brauchen, um  der Regierung die Möglichkeit zu Aktionen und Kommunikation zu nehmen.
Die  Menschen auch im Baltikum sind nun in tiefer Sorge, Kanzler Olaf Scholz  hat sich zur Nato-Beistandspflicht bekannt. Können die Nato-Staaten das  überhaupt erfüllen?
Die Verbände im Baltikum, die da sind, 
[Links nur für registrierte Nutzer].  Also wenn die Russen 160.000 Mann marschieren lassen würden, dann  könnte man ein bisschen Widerstand leisten. Aber das wäre eine Sache von  Stunden oder Tagen und dann wäre das vorbei. 
Wenn da aber Truppen nachrücken, müssen sie durch die sogenannte Suwalki-Lücke
(Anmerkung:  das Grenzgebiet, das die baltischen Staaten mit dem polnischen  NATO-Partner verbindet und das Territorium der russischen Exklave  Kaliningrad von Belarus trennt). Das liegt in der Reichweite von Kaliningrad, wo massiv russische Raketen stationiert worden sind. 
Das  heißt, wenn man keinen Hebel findet, sozusagen Kaliningrad zu  neutralisieren, sind Nato-Truppen einer hohen Gefahr ausgesetzt, so dass  uns diese Truppen vielleicht gar nicht dahin kommen, wo sie hin sollen.  
Und das ist ein großes Problem der NATO. Deswegen ist es auch so  wichtig, was momentan in Belarus passiert, weil natürlich das russische  Militär jetzt auch noch mal in Belarus Kräfte hat, die sozusagen in die  gleiche Richtung zielen können. Das heißt eine Zangenbewegung über  diese Suwalki-Lücke hinweg. 
Und das macht es für die NATO extrem  schwierig. Ich sage nicht unmöglich, weil ich die NATO-Planungen nicht  im Detail kenne, aber das ist ein neuralgischer kritischer Punkt für  eine Verteidigung des Baltikums.
Vorerst setzt auch Deutschland nur auf Sanktionen, lässt  sich Putin wenn schon nicht militärisch, zumindest ökonomisch zum  Einlenken bewegen?
Putin hat in seiner Rede, wo er im  Prinzip die Anerkennung von Luhansk und Donezk ausgesprochen hat,  gesagt, sie werden uns sanktionieren, sie hätten uns sowieso  sanktioniert und wir sind darauf vorbereitet. Also es wird nichts geben,  was dieses Regime überrascht an Sanktionen. Das ist immer so ein Punkt,  wo ich sage: Wir haben es da nicht mit Idioten zu tun. 
Also die  haben ihre Kosten-Nutzen-Kalkulation aufgemacht, die wissen, was sie im  schlimmsten Falle erwartet. Und sie werden Vorkehrungen getroffen haben,  dass sie sich von den schlimmsten Ausfällen dieser Sanktionen selber  schützen können. 
Man darf nicht vergessen, wie stark sich Russland handelsmäßig in die  Hände der Chinesen begeben hat in den letzten fünf, sechs Jahren. Es  gibt immer wieder Informationen, die sagen, die Russen und die Chinesen  arbeiten an einer Alternative zum Swift-System. Das ist alles  eingepreist. Und die zu erwartenden Gewinne einer aus russischer  Perspektive positiven Verlaufes dieser militärischen Kampagne gegen die  Ukraine übersteigt bei weitem die Kosten, die Sanktionen verursachen  werden, sonst hätten sie das nicht durchgeführt.