Ein pathographischer Essay
    
    Gläubige Moslems verehren in Mohammed, dessen Name im zweiten Teil des  islamischen Glaubensbekenntnisses genannt wird, den vollkommensten  Menschen, der je auf Erden gelebt hat. Seine schweren charakterlichen  Mängel, der ausufernde Größenwahn, die sexuelle Verwahrlosung im *Alter  und die gnadenlose Verfolgung von Feinden wurden so erfolgreich  verdrängt, dass kaum jemand wagte, sich damit zu beschäftigen.  Schmähungen des Propheten werden zudem schwer bestraft.
    
    Immerhin äußerten Zeitgenossen, Mohammed sei wahnsinnig oder besessen  und müsse ärztlich behandelt werden. Der oströmische Historiker  Theophanes Confessor (765–814) meinte, der Prophet leide an  epileptischen Anfällen, die seit den ältesten Zeiten mit Dämonen und  bösen Geistern in Verbindung gebracht wurden. Indessen hatten  griechische Ärzte den somatischen Charakter der 
Heiligen Krankheit längst identifiziert und cerebrale Störungen als die eigentliche Ursache erkannt.
    
    Die Autorität des russischen Romanciers Fjodor Michailowitsch  Dostojewski (1821–1881), der die eigene Epilepsie überzeugend  beschrieben und seine Erfahrungen mit der Krankheit des Propheten  verglichen hat, stützte die Diagnose, an der viele Islamwissenschaftler  bis heute unkritisch festhalten. Im Verlauf der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts tauchten allerdings erste Zweifel auf. Während der Arzt und  Orientalist Aloys Sprenger (1813–1893) betonte, dass Mohammed während  der wiederkehrenden Erregungszustände nicht bewusstlos gewesen ist und  den Wortlaut der Offenbarungen vollständig rekapitulieren konnte, also  an einer 
Hysteria muscularis mit den typischen  Konversionssymptomen litt, ließen sich andere Mediziner zu völlig  abwegigen Diagnosen, wie Akromegalie oder Korsakov-Syndrom, verleiten.  In der neueren Literatur werden psychomotorische Attacken, auch als  Temporallappenepilepsie bezeichnet, und Dysfunktionen des retikulären  Systems im Zwischenhirn mit spontanen Schlafanfällen, diskutiert.
    
    Die vorliegende Pathographie des emeritierten Marburger  Medizinhistorikers Armin Geus kommt nach Sichtung der literarischen  Quellen zu dem Ergebnis, dass der Prophet an einer chronischen,  paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie erkrankt war.