Okay, gut vielleicht haben wir aneinander vorbeigeredet. Ich hatte heute vormittag auch äußerst schlechte Laune. Zur Südtirol-Frage: das ist ein äußerst schwieriges Kapitel, wie ja auch die Beziehung Hitler-Mussolini lange Zeit eine äußerst komplizierte war. Da Du offensichtlich doch über erhebliche Geschichtskenntnis verfügst, muss ich Dir das nicht weiter erläutern (Mussolinis Truppen an der österreichischen Grenze standen nicht zum Spaß da...). Mussolini war dem Deutschen Reich gegenüber äußerst zurückhaltend, hatte zu anfangs auch von Hitler keine besonders hohe Meinung, und musste "gewonnen" werden.
Ja, Südtirol blieb dabei auf der Strecke, aus ganz brutal strategischen Gründen. Das Deutsche Reich konnte sich schlicht und ergreifend kein feindliches Italien leisten. Hitler schrieb bereits in "Mein Kampf", dass es für Deutschland nur zwei potentielle Verbündete in Europa gäbe, England oder Italien. Obwohl er viele seiner frühen thesen, die er damals veröffentlichte, später grundsätzlich revidierte, an dieser hielt er fest und sie war ein bestimmender Faktor für die deutsche Außenpolitik. Da nach 1937 mit England nichts mehr zu machen war, blieb nur noch Italien übrig.
Die Südtirolfrage konnte daher gar nicht angegangen werden, da man sonst seinen einzigen auch nur halbwegs schlagkräftigen (Betonung auf "halbwegs") Verbündeten in Europa verloren hätte (wobei die Italienische Armee noch 1937/38 stärker war als die Wehrmacht, die Marine sowieso) und im Falle eines Krieges eine zusätzliche Front im Süden riskiert hätte. Hitler, der wie kaum ein anderer Lehren aus dem Ersten Weltkrieg gezogen hatte und genau wusste wie viele, vor allem hochwertige Spezialtruppen im ersten Weltkrieg an dieser brutalen und völlig sinnlosen Front gebunden gewesen waren, wollte eine Wiederholung dieser Katastrophe mit allen Mitteln vermeiden. Der einzige Weg Südtirol zurückzubekommen wäre ein Krieg gegen Italien gewesen. Das war das weitgehend ressourcenlose, bukolische Eckchen schlicht nicht wert.
Aus vergleichbaren Gründen gab es auch niemals irgendwelche Bestrebungen, außer ein bisschen Propagandagepolter, Elsaß-Lothringen wieder zurückzuholen, oder Eupen und Malmedy, weil man den Konflikt mit Frankreich und England unbedingt vermeiden wollte.
Mit Polen gab es unter Psilduski im Grunde genommen ein relativ gutes Verhältnis. Die Übergriffe der Polen auf Deutsche, die bereits damals stattfanden, aber sich noch in Grenzen hielten (die Polen kloppten ja gerne alles, was nicht-polnisch war, in jener Zeit) wurden in Deutschland von der Zensur vollkommen unterdrückt, bis 1937, auf Goebbels' direkte Anweisung durfte niemand darüber berichten. Man wollte den Ausgleich mit Polen, eben wegen des bolschewistischen Riesen im Osten, und man betrachtete Polen durchaus als potentiellen Verbündeten gegen die Sowjetunion (gegen die die Polen ja schon in den 20er Jahren , nicht ohne Erfolg, gekämpft hatten). Das polnische Regime unter Psiludski (und später unter Rydz-Smygli sogar noch stärker) war im Grunde genommen faschistisch, jedenfalls ultra-nationalistisch.
Das Korridorproblem war nun aber ein anderes als Südtirol oder Elsaß-Lothringen. Hier ging es um etwas ganz vitales von erhöhter strategischer und für das ganze Volk auch emotionaler Bedeutung, nämlich darum, dass ein wichtiger Teil des deutschen Territoriums vollkommen vom restlichen Reich abgetrennt war. Die Polen wandten sich unter Rydz-Smygli erkennbar den Westmächten zu und wurden immer renitenter. Hitler war vollkommen klar, dass die gesamten verlorenen Ostgebiete auf friedlichem Weg wohl niemals zurückzuholen waren, und entschied sich für die Vorlage des äußerst moderaten 16-Punkte Plans zur Lösung der Frage des Korridors und der Danzig-Frage.
Keine deutsche Regierung nach dem Ersten Weltkrieg, von Ebert angefangen, hätte es sich leisten können, so einen Vorschlag zu machen. Sie wären vom Großteil der deutschen in der Luft zerrissen worden dafür. Du musst Dir die Stimmung im deutschen Volk zu dieser Zeit vor Augen halten, die war nun mal 100% diametral zu dem was wir heute erleben. Auch viele "alte Kämpfer" und Militärs waren von Hitlers 16-Punkte-Lösung überhaupt nicht begeistert, aber er versuchte dennoch den Weg einer für beide Seiten fairen Diplomatie zu gehen.
Dummerweise hatten die Polen aber überhaupt gar keine Lust und laborierten an massiver Selbstüberschätzung, hatten bereits ihre Pläne für den Angriff auf Deutschland in der Schublade, und verließen sich (fatalerweise, wie sich nur zu bald herausstellte) auf die wertlosen Garantien von F und GB, die sie in der Hinterhand hatten. Hitler seinerseits lief natürlich auch nicht, wie viele behaupten "dumm in die britisch-französische Falle", sondern hatte sich seinerseits durch einen genialen Schachzug, den völlig unerwarteten "Pakt mit dem Teufel", der F und GB geradezu schockierte, dem Molotow-Ribbentrop-Pakt, gegenüber der SU abgesichert, so daß man nicht Gefahr lief, einen 2-Fronten Krieg führen zu müssen, den er zu Recht fürchtete wie der Deubel das Weihwasser.
Wie die Polen auf den 16-Punkte Plan reagierten ist bekannt. Ebenso, dass die Zernierung Danzigs und die immer stärker werdenden Übergriffe auf die Volksdeutschen in Polen Hitler buchstäblich dazu zwangen, Polen den Krieg zu erklären, er hätte sonst vor dem gesamten deutschen Volk buchstäblich sein Gesicht verloren. Fazit: selbstverständlich hat man sich um Polen bemüht, das weißt Du, und bis 1937 lief das auch alles ganz OK, und die deutsche Minderheit besaß in der Tat eine ganze Reihe von (auch politischen) Rechten, die sie anderswo nicht hatte, weil eben auch Polen am Ausgleich mit dem deutschen Reich interessiert war. Man hatte ja zwischen dem reich im Westen und der SU im Osten auch eine denkbar üble Position. Mit Rydz-Smygli 1937 und insbesondere nach der Annexion der Tschechei änderte sich das Verhältnis aber grundsätzlich, und auch die Lage der Volksdeutschen in Polen änderte sich dramatisch zum Schlechteren. Dir ist sicher bekannt, dass die erste große Flüchtlingswelle aus Polen bereits VOR dem WK 2 stattfand? Etwa 1 Million Volksdeutsche aus Polen flohen in das Deutsche Reich. Das hatte seine Gründe. Die haben nicht einfach aus Jux und Dollerei Haus und Hof aufgegeben.




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