Die Asads und ihr Nazi
SS-Hauptsturmführer Alois Brunner beriet Syriens Folterdiktatur.
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Alois Brunner ist verantwortlich für die Deportation von 56 000 Wiener Juden nach Auschwitz, 43 000 aus Saloniki, 14 000 aus der Slowakei und 23 500 aus Frankreich, wo er das Lager von Drancy leitete. Doch er musste nie für seine Verbrechen büssen. Als Nazideutschland fällt, nutzt er das Todesurteil gegen einen anderen Brunner, um im Strom der Fliehenden unterzutauchen, nimmt den Namen seines Cousins Georg Fischer an und lässt sich von den US-Truppen als Lastwagenchauffeur anheuern. 1947 arbeitet er in einem Kohlebergwerk in Essen, 1953 flüchtet er mit dem Pass eines gewissen Georg Fischer nach Ägypten. Dort bleibt er nur kurz und verschwindet 1954 nach Damaskus.
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Als erstes Land meldet sich Österreich mit einem offiziellen Auslieferungsbegehren. Die Mächte der Nachkriegszeit wissen nun, dass der Nazi inkognito in Syrien lebt.
Der formelle Pakt zwischen Alois Brunner und dem werdenden syrischen Staat geht auf das Jahr 1966 zurück. In diesem Jahr wird ein gewisser Hafez al-Asad nach einem x-ten Staatsstreich Verteidigungsminister. Asad hat mit Brunner einen Experten mit gewichtigen Referenzen hinter sich. Adolf Eichmanns «bester Mann» hatte nämlich nach seiner Ankunft in Syrien damit begonnen, den Pionier der syrischen Geheimdienste, Oberst Abdel Hamid el-Sarraj, zu beraten.
Fünf Jahre später, 1971, wird al-Asad der neue Präsident Syriens. Mithilfe von Alois Brunner baut er einen Repressionsapparat von seltener Effizienz auf. Dem komplizierten, weitverzweigten Gebilde, in dem man sich gegenseitig überwacht und ausspioniert, liegt ein einziges Prinzip zugrunde: die Machterhaltung im Land durch eine Diktatur.
Als al-Asad im Jahr 2000 stirbt, erbt sein Sohn Bashar al-Asad ein aus Stahlwolle gestricktes Land. Dreissig Jahre lang ist der Geheimhaltungsapparat immer perfekter geworden. Er hat sich auf allen Ebenen der Macht festgesetzt und kontrolliert das Alltagsleben bis in die kleinsten Details.
Fragte man den Vater und später den Sohn Asad nach Alois Brunner, wollten sie über Jahre hinweg nie etwas von seiner Anwesenheit wissen und antworteten stets: «Wir kennen diesen Mann nicht.» So geisterte das Phantom Alois Brunner während sechzig Jahren durch Syrien. Und bislang war selbst sein Tod eine umstrittene Annahme: Die einen meinen, er sei 1992 gestorben. Andere glauben, er sei 2010 im Alter von 98 Jahren gestorben. Und wieder andere wähnen ihn immer noch am Leben.
In Exklusivinterviews brechen drei Syrer, die früher mit dem Schutz des Ex-Nazis in Damaskus beauftragt waren, das Schweigen. Einer spricht offen, die andern schützen sich mit Pseudonymen. Ihre schrecklichen und bedrückenden Erzählungen stimmen bis ins kleinste Detail überein. Sie werden von zahlreichen Gesprächen mit den Hauptagierenden in dieser Sache belegt und zeugen von einer Geschichte, deren Wurzeln in eine überwunden geglaubte Vergangenheit zurückreichen. Sie werfen ein Schlaglicht auf das Drama, das sich in Syrien abspielt.
Was wirklich mit Alois Brunner geschah, lässt sich mit wenigen Worten sagen: Adolf Eichmanns treuer Gehilfe blieb bis zu seiner Todesstunde ein Nazi und starb 2001. Sein Leichnam wurde nach islamischem Brauch gewaschen und in aller Stille auf dem Friedhof al-Afif in Damaskus beigesetzt. Der Syrienkrieg, der seit 2011 den Nahen Osten erschüttert und zahllose Tote und Heerscharen von Flüchtlingen hinterlässt, ist zum Teil auch das Erbe Alois Brunners.
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