Thomas Fricke: Die Deutschen jammern nur
von Thomas Fricke
Alle Welt hat gute Gründe, vor der Konkurrenz von Billiganbietern zu zittern. Außer den Deutschen, deren neurotische Sofa-Globalisierungsexperten die größten und absurdesten Absturzszenarien verbreiten.
So sehen wahre Globalisierungsverlierer ausItaliens Textilbranche registriert zweistellige Einbrüche. Griechen und Portugiesen auch. Der Grund ist derselbe: die Flut von Billigimporten aus China. Die trifft auch andere. Selbst die sich sonst so liberal gebärdenden USA schränkten diese Woche den Zugang für die Asiaten ein: um die eigene Industrie vor der marktwirtschaftlichen Billigkonkurrenz zu schützen (Bush, nicht Müntefering).
Nur die Deutschen nehmen das Ganze gelassen, und das könnte symptomatisch sein. Denn: Während hier aufgeregt über Kapitalismus gezetert wird, bekommen andere zu spüren, was wirkliche Billigkonkurrenz bedeutet. Der Verdacht drängt sich gar auf, dass die international geübten Deutschen eher zu denen zählen, die am wenigsten zu fürchten haben - weil sie vormachen, wie reiche Länder dank ausgefeilter Spezialisierung auf Hochwertiges in der Globalisierung ihren Platz finden.
Nein, die Firmen fliehen nicht
Vergessen Sie die Sofa-Ökonomen und Lobbyisten, die den Deutschen seit Jahren tumb Ängste einjagen. Die Experten des European Restructuring Monitor (ERM) registrieren sorgsam jede Zeitungsmeldung über Jobabbau in Europa. Und? Aus keinem Land wurden seit 2002 so viele Jobs ins Ausland verlagert wie aus - Großbritannien. Mit Abstand sogar.
Britische Callcenter sitzen jetzt in Indien. In Italien schrumpfte der Anteil der Textilhersteller an der nationalen Wertschöpfung seit 1990 um 40 Prozent. Portugals Textilexporte sanken allein seit 2003 um fast die Hälfte. Einige US-Senatoren würden am liebsten alle Importe aus China mit 27 Prozent Zoll belegen. "Die USA fallen in alten Protektionismus zurück", sorgt sich der Internetdienst Economy.com. Hoffentlich werden die Amerikaner nicht kapitalismuskritisch.
Kein Wunder vielleicht: Das US-Handelsdefizit mit China nimmt dramatische Ausmaße an - zuletzt waren es monatlich mehr als 15 Mrd. $. Anfang der 80er Jahre gab es noch Überschüsse. Ähnliches gilt für Italien. Alles in allem fiel Amerikas Weltmarktanteil von 14 auf gut zehn Prozent. Seit 2002 baute die US-Industrie unter dem Druck globaler Konkurrenz drei Millionen Stellen ab: ein historischer Absturz, der an ostdeutsche Verhältnisse erinnert.
All das passt nicht recht zur Tante-Emma-Globalisierung, wie sie deutsche Talkshows und Mehrwisser-Blätter erzählen. Danach müssten Amerikaner, Briten und Portugiesen dank niedriger Kosten und Flexibilität weit besser dastehen als die Deutschen.
Weit gefehlt. Kein westliches Land hat im Schnitt eine so starke Position auf Billigmärkten wie Deutschland, kein einziges hat trotz immer neuer Konkurrenten in etwa seinen Weltmarktanteil gehalten. Während die Amerikaner auch in Osteuropa milliardenschwere Defizite einfahren, verkaufen die Deutschen in den neuen EU-Ländern monatlich für Hunderte Millionen Euro mehr, als sie dort kaufen. Mehr als nach Amerika. Die Exporte nach China haben sich seit 2000 glatt verdreifacht.
Grotesk ist auch das Gedröhne über fliehende deutsche Firmen. Es gibt "weit mehr Zitate von Politikerklagen über Verlagerungen als Beispiele für Jobverlagerungen", ergaben Recherchen von Dirk Chlench von der Hypothekenbank Essen. Meist sind es dieselben Betriebe, die zitiert werden, andere drohen nur. Nach Zählungen der Bundesbank haben deutsche Firmen von 2001 bis 2003 weltweit sogar Stellen abgebaut - nicht aufgebaut. Und: Von den 200.000 Jobs, die deutsche Firmen laut ERM-Erfassung zwischen 2002 und 2004 kürzten, wurden nicht mal fünf Prozent ins Ausland verlagert. "Mehr Mythos als Realität", urteilt Elga Bartsch von Morgan Stanley.
Die Lösung des Rätsels ist, dass es offenbar noch anderes geben muss als Kostentabellen, auf die das Verständnis globalen Wirtschaftens hier zu Lande oft reduziert wird. "Wenn weniger deutsche Callcenter nach Indien abwandern als britische, liegt das auch daran, dass Inder kein Deutsch sprechen", vermutet Bartsch - so günstig die Inder sein mögen.
"Die Wertschöpfungsketten moderner Industrien ähneln eher komplexen Netzwerken mit vielfältigen Verflechtungen, wobei der Preis nur eine Komponente neben anderen ist", so Henning Klodt vom Institut für Weltwirtschaft. Mindestens so wichtig seien Qualität, Verlässlichkeit und Flexibilität. Und dabei sind wir offenbar doch nicht so schlecht.
Fruchtbare Arbeitsteilung in Branchen
Globalisierung geht anders. Bis vor einiger Zeit habe es mit Osteuropa eine Arbeitsteilung gegeben, bei der die einen auf höherwertige Branchen setzten, die anderen auf einfacher Herzustellendes, sagt Hubert Gabrisch vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Jetzt zeichne sich eine ebenso fruchtbare Arbeitsteilung innerhalb von Branchen ab: Ost und West produzieren zum Beispiel Maschinen - im Osten mangels Erfahrung einfache, im Westen hoch spezialisierte. Weil es für beides Nachfrage gebe, profitierten alle davon.
Die Spezialisierungs-Diagnose könnte erklären, warum andere die Billigkonkurrenz derzeit schmerzhafter spüren. Der Wettbewerb ist zwischen jenen am heftigsten, die sich ähnlich spezialisiert haben: zwischen Portugiesen, Osteuropäern und Chinesen eben. Die Tschechen stellen heute 80 Prozent weniger Lederschuhe her als 1995 - weil Asiaten das jetzt noch billiger machen. Selbst Amerikas Wirtschaft bietet vieles an, was einfach zu kopieren ist und daher eher mit Asiaten konkurriert. Beispiel IT-Hardware. Oder mittelmäßige Autos. "Die Deutschen haben anders als die Amerikaner einfach weniger Billigjobber, die überhaupt noch verlagert werden könnten", sagt Elga Bartsch.
Deutsche Firmen schützt all das zwar nicht per se vor Konkurrenz (was auch nicht Sinn von Marktwirtschaft ist), zumal der größere Druck von ähnlich spezialisierten Firmen ausgeht. Aber es erklärt, warum Amerikaner so aufgeregt bemüht sind, den Kapitalismus in diesem Fall dann doch mal auszusetzen - während die Deutschen geübt kapitalistisch billige T-Shirts und Computer kaufen, die sie eh nicht mehr produzieren.
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