Alle wählen! Für Rente und Gesundheit." Mehr als 40 Millionen Wahlberechtigte haben in diesen Tagen diesen Aufruf in ihrem Briefkasten gefunden. Sie sollen die Männer und Frauen wählen, die ihre Interessen in der Selbstverwaltung der Renten- und Krankenversicherungen vertret
Dabei dürfen Menschen wie Christina Gräwe, die bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) oder bei einer der großen Ersatzkassen versichert sind, wenigstens wählen. Wer Mitglied bei der AOK, bei den Innungs- oder bei einer der großen Betriebskrankenkassen ist oder wer seine Rente von einer der Landesversicherungsanstalten bekommt, hat nichts zu entscheiden. Dort haben sich DGB-Gewerkschaften, der Sozialverband VdK und die kleinen Christlichen Gewerkschaften schon vor Monaten auf gemeinsame Vorschlagslisten geeinigt. Es gibt genauso viele Kandidaten wie Mandate in der Selbstverwaltung.
Gewählt sind damit automatisch jene Kandidaten, auf die sich die Gewerkschaften vorab verständigt haben. Die Versicherten werden gar nicht mehr gefragt.
„Selbstverwaltung” erhält einen ganz neuen Klang
"Friedenswahl" nennen die Verbandsvertreter diese Nichtwahl. "Das ist eine schöne Umschreibung des Begriffes Kungelei", sagt der FDP-Abgeordnete Heinrich Leonhard Kolb dazu. Denn die Gewerkschaften schieben einander die Aufsichtsämter zu. Das Verfahren gibt dem Begriff der "Selbstverwaltung" einen ganz neuen Klang. Damit alles so bleibt, wie es ist, soll niemand von draußen hineinkommen dürfen.
"Diese Wahl ist eine Farce", meint Kolb, "und das muß man auch so nennen dürfen." Der Sozialexperte der CDU/CSU-Fraktion, Karl-Josef Laumann, sieht das ähnlich. "Wenn die ganze Sache Sinn haben soll, müssen auch richtige Wahlen stattfinden", sagt er. Der Bonner Rechtsprofessor Raimund Wimmer nennt die "Friedenswahlen" sogar schlicht
undemokratisch und
verfassungswidrig.
Sektkorken können schon vor der Wahl knallen
Das Schöne an dem Verfahren: Wer vorher alles auskungelt, kann sicher sein, daß die Posten auch genau an
die altgedienten Funktionäre verteilt werden, die dort seit Jahrzehnten das Sagen haben.
Von den rund 70 Millionen gesetzlich Versicherten sind gerade mal sieben Millionen in einer DGB-Gewerkschaft organisiert. Bei den "Friedenswahlen" ist die Dominanz der Gewerkschaften dennoch erdrückend.
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