Französische Deutschlandpolitik: Die Deutsche Mark ist gewissermaßen ihre Atomstreitmacht
von Gérard Bökenkamp
Warum die deutsche Währung dem Euro weichen musste
„Die deutschen Beamten besprachen die Notwendigkeit zur Konzertierung mit den Franzosen über deren nukleare Kurzstreckenwaffen, die nur auf deutschem Boden explodieren konnten. Dann sagte (Mitterands außenpolitischer Berater) Attali:
'Um eine Balance zu erhalten, möchten wir über die deutsche Atombombe reden.' Die Deutschen konterten erstaunt: 'Sie wissen doch, wir besitzen gar keine Atombombe.' Daraufhin sagte Attali: 'Ich meine die D-Mark.'“
...
Gegenüber dem spanischen Ministerpräsidenten Filipe Gonzalez erklärte Mitterand am 25. August 1987: „Natürlich wehren sich die Deutschen dagegen. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass sie, weil sie keine ihrer Wirtschaft entsprechende diplomatische Macht besitzen, ihre Dominanz in die Wirtschaft verlagern, deren offenkundiger Ausdruck die Währung ist. In der Mark spiegelt sich die Macht der Deutschen wider. Das ist eine sehr starke Triebkraft, weit stärker als die Reflexe der Banker und sogar als die der Politik.“ Vor dem Ministerrat erklärte der französische Staatspräsident am 17. August 1988: „
Die Deutschen sind ein großes Volk, das gewisser Attribute der Souveränität entbehrt und einen verminderten diplomatischen Status genießt. Deutschland gleicht seine Schwäche durch seine ökonomische Stärke aus. Die Deutsche Mark ist gewissermaßen ihre Atomstreitmacht.“
Auf deutscher Seite stießen die Bestrebungen, die D-Mark abzuschaffen, jedoch auf wenig Gegenliebe. Besonders die Bundesbank stand der Währungsunion mit großer Skepsis gegenüber. Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl sah für die europäische Währungsunion eher einen Zeithorizont von hundert Jahren als eine Verwirklichung im kommenden Jahrzehnt. Mitterand grübelte darüber nach, wie trotz der ablehnenden Haltung der Bundesbank und der deutschen Bevölkerung das Ziel erreicht werden konnte. Am 30. März 1989 fragte Mitterand im Gespräch mit dem italienischen Ministerpräsident Ciriaco de Mita: „Wie können wir die Deutschen dazu bringen, Fortschritte auf dem Weg zur Währungsunion zu akzeptieren? Ich habe den Eindruck, dass sie, wenn sie die Garantie hätten, dass die Währungsunion ihre gesunde wirtschaftliche Verfassung nicht gefährdet, bereit wären, sich zu bewegen. Ich zögere aber, dieses Zugeständnis zu machen.“
Der Prozess der Wiedervereinigung beschleunigte die Debatte und die Aufgabe der D-Mark rapide. Gegenüber der britischen Premierministerin Thatcher erklärte der französische Präsident: „Deutschland wird, nachdem die Schwierigkeiten der Vereinigung überwunden sind, wahrscheinlich stärker werden, aber ich denke, dass diese Macht durch die Europäische Union und nur durch sie eingedämmt werden kann. Ich sehe daher anders als Sie in den Unruhen im Osten einen Grund mehr, die Union zu verwirklichen. Ohne eine gemeinsame Währung sind wir alle – Sie und wir – dem Willen der Deutschen unterworfen. Wenn sie ihre Zinssätze anheben, müssen wir ihnen folgen, und Sie, die sie nicht dem Währungssystem angehören, tun dasselbe. Mitreden können wir nur, wenn es eine europäische Zentralbank gibt, wo gemeinsam entschieden wird.“
Die unübersichtliche geopolitische Lage nach dem Umbruch im Osten nutzte die französische Führung, um den Druck zur Durchsetzung der Währungsunion auf die Bundesregierung massiv zu erhöhen.
Mitterand forderte die Bundesregierung auf, sich zu Verhandlungen bereit zu finden, die zur Währungsunion führen sollten. Andernfalls drohte er mit einer „Trippelallianz“ zwischen Frankreich, Großbritannien und der Sowjetunion, um Deutschland in Europa so zu isolieren wie vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Gegenüber Außenminister Genscher bemerkte er: „Wir werden in die Welt von 1913 zurückfallen.“ In Gesprächen mit Thatcher bekräftigte Mitterand seine Absicht, dass Deutschland sich auf die „Einkreisung“ in Europa gefasst machen müsste.
Diese Drohung veranlasste die Bundesregierung zum Einlenken und dazu, die Geschwindigkeit zu akzeptieren, die die französische Führung vorgab.
(weiter: )
[Links nur für registrierte Nutzer]