Es war einmal...

vor nicht langer Zeit, das war große Aufregung im Land ob der anstehenden Europawahl. Nachdem eine der sog. Qualitätszeitungen Deutschlands zu diesem Thema einer mehrseitige Beilage veröffentlicht hatte sah ich mich wieder einmal gezwungen, den Versuch einer Diskussion mit den „Meinungsmachern“ aufzunehmen. Ich ging aufgrund jahrelanger, fruchtloser Bemühungen um irgendeine Reaktion (am Ende sogar den Abdruck eines Leserbriefes) gar nicht erst davon aus dass die Zeitung ein Interesse daran hätte, daher schickte ich, ohne mich groß um „druckbare“ Formulierungen und einen höflichen Ton zu bemühen, ein Mail mit einem kopierten Beitrag aus unserem Lieblingsforum an die Zeitung, und zwar nicht an die Redaktion, sondern an den Abonnentenservice, der einzigen Abteilung die sich jemals um mich als Leser bemüht hatte (aber auch erst nachdem ich entnervt mein langjähriges Abo gekündigt hatte):

Sehr geehrte Damen und Herren
(blabla, Erläuterung des Begriffs Demokratie, Funktion und Stellung des Parlaments, danach Kernsatz)

Was also "machtvoll" an einem Parlament sein soll wenn man bei 2/3 der Gesetze ein wenig mitspielen darf darf während man bei einem Drittel nichts zu sagen hat entzieht sich meiner Kenntnis. Außerdem kann man eine einfache Rechnung aufmachen. "Europa geht uns an" wirbt irgendeine Partei weil 2/3 der Gesetze "die uns täglich betreffen" auf europäischer Ebene beschlossen werden. Man kann daraus errechnen dass im demokratischen Musterländle Deutschland als Teil der musterdemokratischen EU 44% der Gesetze nur noch äußerst indirekt dem Einfluss des Bürgers unterliegen während 22% der Gesetze "die uns täglich betreffen" außerhalb JEDER DEMOKRATISCHEN KONTROLLE liegen. Wobei sich außerdem die Frage stellt wie es denn mit den Gesetzen aussieht, die uns nicht täglich betreffen (bei welchen Themen sich die demokratische EU jede demokratische Kontrolle verbeten hat kann man im Lissabonvertrag nachlesen).

(blabla, diverse weitere Kritikpunkte, Beleidigung der Redaktion und der restlichen Presse, Verweis auf längst erfolge Abokündigung etc. Mit freundlichem Gruß gez. c.)

Ich hatte die Angelegenheit schon wieder vergessen als ich plötzlich ein eMail mit .pdf-Anhang erhielt, einem elektronischen Belegexemplar meines Leserbriefes. Donnerwetter! Der abgedruckte Abschnitt las sich (in etwa) folgendermaßen:

Der Autor zieht einen falschen Schluss: Wählen stärkt die europäische Demokratie. Allerdings wird durch Lissabon nicht die Kommission, sondern der Rat zur wichtigsten Institution aufgeblasen, die Tatsache einer gestärkten Kontrolle der Kommission durch das Parlament ist also hier belanglos.

Immerhin. Entschärft, die grundsätzliche Kritik an der Machtlosigkeit des Parlaments entfernt, aber immerhin EIN Kritikpunkt, insbesondere die direkte Kritik am Autor, wurde tatsächlich gebracht. Auch nach der dritten Durchsicht der einschlägigen Gesetze und Verträge stehe ich zu dem gedruckten Abschnitt, er kann auf Basis der gegenwärtigen Rechtslage als „gesichert“ gelten, also nicht nur „vertretbare Meinung“, sondern als eine sachlich zutreffende Feststellung. Nicht dass es irgendetwas bringen würde oder dass sich ein Richter in Karlsruhe deswegen über den Begriff „Demokratie“ Gedanken machen würde, aber man hat seinen Namen einmal unter einem zutreffenden Satz in einer großen Zeitung gelesen, und das auch noch zu einem Thema das einem am Herzen liegt.

Damit hakte ich die Geschichte wiederum ab, vor allem weil sich beruflich einige Änderungen ergaben die mich für zwei Monate in die glückliche Lage eines Privatiers versetzten, das heißt regelmäßiges, ordentliches Einkommen bei oft 24h Tagesfreizeit. Also nicht das Abhängen vor der Glotze um auf Anrufe der ARGE zu warten die nie kommen, das Zeittotschlagen mit Dosenbier und den „kostenfreien“ Vergnügungen die dem Bürger zur Verfügung gestellt werden (also irgendein geistloses Remmidemmi wie die idiotischen „Riesen“ in Berlin - Verzeihung, das „berührende Schauspiel“ - oder der Empfang der Frauennationalmannschaft), sondern Kurzreisen, Opernbesuche, Besuch entfernt wohnender Freunde oder einfach spontaner Unsinn, zum Beispiel 45 Minuten vor Anpfiff mal eben zur Bahn zu laufen und nachzusehen, ob das „Spiel des Jahres“ nun wirklich „ausverkauft“ ist (der Schwarzmarkt gab selbstverständlich genug her, zahlt man halt mal 50€ für einen Stehplatz). Und ab und zu mal den Sonntagsanzug anziehen und einen alten oder künftigen Geschäftspartner schwätzen.

Die Situation des „Privatiers“ hat auch den großen Vorteil, dass man – ohne Druck und Geschnüffel des bisherigen Arbeitgebers – den eigenen „Marktwert“ testen kann, also ein paar Blindbewerbungen in die Welt schicken, mit dem guten Gefühl, dass es einem egal sein kann. Von der traurigen Erkenntnis abgesehen dass der Marktwert ab der großen 40 rapide sinkt, egal wie Qualifikation und Erfahrung aussehen (vor allem wenn man nach einem Gespräch von einem „Insider“ erfährt dass es einfach feste Vorgaben gibt wie „keine Neueinstellungen über 35), ergaben sich folgende interessante Situationen:

Ich hatte mich informell bei einem direkten, größeren Konkurrenten gemeldet dessen Personalmann mir flüchtig bekannt war, d.h. ich rief ihn einfach an und fragte „haste Arbeit für mich?“. Er lud mich genauso informell in ein Café ein wo er mir direkt eröffnete dass er selbst gezwungen sei demnächst „abzubauen“, und so schwätzten wir ein wenig über die böse Welt und den lauen Markt. Danach wurde er ernst und meinte, ich solle ein wenig aufpassen, denn „politische Querulanten“ hätten heutzutage schlechte Karten. - ???? - Es war mir tatsächlich entgangen, dass man meinen gekürzten Leserbrief über die Homepage der Zeitung „ergooglen“ konnte, der Kollege hatte ihn aber gefunden. Da man sich ja kannte konnte ich ihm sehr offen das oben gesagte mitteilen, dass der Satz richtig sei und dass es außerdem niemand etwas angehe was ich außerhalb der immer korrekt erledigten Büroarbeit noch so treibe und dass deswegen in meinen Bewerbungen auch nie Hobbys oder sonstiger persönlicher Kram stehe. Er entließ mich mit dem gutgemeinten Rat dass IHM das ja auch egal sei, vielen Firmen aber nicht.

Eine Opernaufführung später (einer direkt unglaublich schlechten „Frau ohne Schatten“ in Frankfurt, häßliche, hirnlose Inszenierung, verbunden mit einem insb. im 3. Akt breiigen Dirigat und größtenteils überforderten Sängern) dachte ich nicht mehr daran und marschierte, diesmal in vollem kapitalistischen Wichs und mit den feinsten Unterlagen ausgestattet, bei einem ächten DAX-Konzern auf der eine leidlich passende Stelle inseriert hatte. Meine Qualifikationen seien überaus passend, das Alter, na gut, in dem Fall, aber mein Gehalt könne man nicht zahlen. Das hatte ich mir schon gedacht und ich machte direkt einen Gegenvorschlag auf meiner Schmerzgrenze. Das überraschte die beiden guten Männer, und ab da an musste ich mich eine Viertelstunde rechtfertigen warum ich denn auf das Geld verzichten würde, meine vorbereiteten, sowohl logischen also auch nicht gelogenen Gründe konnten sie nicht nachvollziehen. Wir kamen zu keinen Ergebnis, mein bisheriges Gehalt konnten sie nicht zahlen aber für weniger wollten sie mir die Stelle scheinbar auch nicht geben, warum auch immer. Man versprach vage sich zu melden, dann könnten beide Seiten noch einmal in Ruhe blabla (also vermutlich nein). Als mich der jüngere der beiden Vögel zum Aufzug brachte kam dann noch der Hammer: Sein älterer Kollege wäre ja da nicht so fit aber er habe vor dem Gespräch selbstverständlich im Internet nach mir gesucht, er müsse mich vorab, hier und „unter 4 Augen“, darauf hinweisen, dass die X AG rückhaltlos die europäische Einigung unterstützen würde und dass dies, sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis, auch von allen Mitarbeitern erwartet werde. Damit war ich, sprachlos, entlassen. Worauf ich am nächsten Tag lieber schriftlich um Rücksendung der Unterlagen bat, Fahrtkosten möge man behalten oder spenden.

Auch nach längerem Nachdenken entnehme ich den beiden kurzen Gespräch immer noch die klare Aussage, dass man in einem bestimmten privatwirtschaftlichen Unternehmen eine bestimmte politische Meinung zu vertreten habe und dass dies eher die Regel als die Ausnahme ist. Also nicht die bereits bedenkliche, aber nachvollziehbare Anweisung, sich während der Arbeitszeit oder innerhalb des Unternehmens jeder politischen Diskussion zu enthalten, sondern der Befehl, eine bestimmte politische Richtung mehr oder weniger aktiv zu unterstützen. Genauso ist ja auch in der Öffentlichkeit der politische Diskurs fast vollständig zu einem Wiederkäuen vorgegebener Schlagworte verkommen in dem abweichende Meinungen entweder totgeschwiegen oder zum Faschismus erklärt werden und nur wenn es wohl nicht mehr anders geht entschärft die Öffentlichkeit erreichen – ungeachtet ihres Wahrheitsgehalts.

Fazit: Ich bedaure jeden der auf Gedeih und Verderb diesem System ausgeliefert ist, der aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation gezwungen ist, sich zu ducken, zu kriechen und der die immer größeren Zumutungen dieses Systems an den Verstand und die Selbstachtung klaglos hinnehmen muss weil sein eigenes Schicksal oder das seiner Familie davon abhängt – und der eine Existenz als staatlich alimentierter Pogrompöbel in der Tradition römischer Getreidespendenempfänger NICHT für eine Alternative hält, der mit Hartz und Glotze und vielen Kinderlein also nicht zufrieden ist sondern vor diesem Dasein zu Recht Angst hat und alles schluckt, um diese „Segnung“ des verkommenen Sozialstaats nicht erleiden zu müssen, sowenig es hilft, denn vor Hartz 4 steht immer der staatlich geförderte Verlust des Vermögens. Und ich verachte jeden der NICHT in dieser Abhängigkeit ist, aber seine Zeit damit verbringt, diesen riesengroßen Dreck von hier bis „Lissabon“ durch das beständige Wiederholen der immerselben Lügen zu verteidigen.

Es gibt Alternativen. Man muss sie nur suchen. Wer Ohren hat zu hören, der höre.