5. Juli 1962: Das Massaker von Oran
Seit dem 1. Juli begrüßten muslimische Demonstrationen freudig die Unabhängigkeit. Über Radio-Algier ruft die GPRA für den 5. Juli, den Tag der Unabhängigkeitserklärung, zu großen Kundgebungen auf.
Am 5. Juli befinden sich noch etwa 100.000 Europäer in Oran. Sie profitieren im Prinzip vom Schutz durch die Abkommen von Evian.
Wer die Initiative zu dem folgenden Massaker an den Europäern ergreift, ist nicht bekannt. Was jedoch den Ablauf und die Entführungen betrifft, so machen die Zeugen einstimmig die ALN, die ATO und mit Pistolen und Messern ausgerüstete Zivilisten dafür verantwortlich.
Alle diese bewaffneten Männer griffen die Europäer, denen sie begegneten, in einem mörderischen Amoklauf an. Es wird eine regelrechte Menschenjagd organisiert. Sie wird viele europäische Viertel in Brand setzen. Bewaffnete Männer stürmen auf Gebäude zu, treten Wohnungstüren ein, eröffnen das Feuer in Restaurants, verhaften, entführen, schneiden die Kehle durch, je nachdem, wen sie treffen. Maschinengewehrsalven fegen über Caféterrassen, Veranden und Autos hinweg.
Die ersten Entführungen wurden gegen 12.10 Uhr gemeldet: Etwa 100 Europäer wurden nach Ville-Nouvelle (muslimisches Viertel im Zentrum) gebracht. Dann wird die Hauptpost überfallen, den anwesenden Beamten wird die Kehle durchgeschnitten und etwa dreißig Personen, Männer und Frauen, werden entführt, die gezwungen sind, sich auf Knien fortzubewegen.
Die Männer der ALN durchkämmen die Stadt. Sie entführen Personen und treiben sie zusammen. So führen sie Europäer in einem Zug zur zentralen Polizeistation oder nach Petit-Lac (muslimisches Viertel im Südosten), wo Massenmorde durchgeführt werden. Einige der Gefangenen werden auf dem Weg dorthin getötet. Andere werden von Muslimen gerettet.
General Joseph Katz, der die 18 000 französischen Soldaten befehligt, die sich noch in Oran befinden, fliegt mehrmals über die Stadt. Er rief Präsident Charles de Gaulle an, um ihn über das Ausmaß des Massakers zu informieren und um die Erlaubnis zum Eingreifen zu bitten.
"Vor allem dürfen Sie sich nicht bewegen", lautet die Antwort. Im Abkommen von Evian hatte die französische Regierung nämlich - gegen den Widerstand des Militärs - akzeptiert, dass die Aufrechterhaltung der Ordnung ab dem Tag der Unabhängigkeit ausschließlich den algerischen Behörden obliegen sollte. Die Soldaten blieben daher in den Kasernen.
Am Abend dieses Tages erscheint die Große Zohra wie geplant im Fernsehen und verkündet die Unabhängigkeit Algeriens...
In den folgenden Wochen ist von mehreren hundert Toten die Rede. Die Vertreter der pieds-noirs sprechen von 2.000, nicht eingerechnet einige hundert Vermisste... Vermisste, die später in den Minen Algeriens, in Gefängnissen, Bordellen und Soldatenbars gemeldet werden...
Dieses Massaker vervollständigt den Terror gegen die europäische Zivilbevölkerung. Es zeigt ihr, dass sie keinen Schutz hat.
Es zeigt ihr die Zerbrechlichkeit ihres Status, der durch die Abkommen von Evian definiert ist, die von beiden Seiten in Frage gestellt werden. Das Massaker löste bei den Europäern Verzweiflung aus, und ihre Flucht nahm ihren endgültigen Lauf.
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