Das vereinigte Berlin pflegt ein ambivalentes, spannungsreiches Verhältnis zum Erbe West-Berlin. Ignoranz und Nostalgie prallen aufeinander. Schon hat ein Drittel der Bevölkerung die Teilung der Stadt nicht mehr erlebt, noch aber ist für den Westteil so viel Erinnerung lebendig, dass 100 000 Menschen zum 60. Jahrestag der Luftbrücke zum Flughafen Tempelhof strömen. Noch scheint West-Berlin nur ein Thema Alteingesessener zu sein, die den plüschigen Cafés am Kurfürstendamm nachtrauern, aber schon melden sich Nachgeborene, die wissen wollen, wie eine zur Bundesrepublik gehörige Stadt inmitten der DDR existierte. „Wie konnten die Westberliner in dieser Exklave bloß leben?“, fragt ein Jugendlicher in einem Internetforum. „Haben sich die Westberliner nicht einsam gefühlt, so isoliert von der restlichen BRD und nur umgeben von der grauen sozialistischen DDR?“ Vor allem aber: „Wie ist man über das Staatsgebiet der DDR nach Westberlin gekommen? Durch Tunnel?“
Schon ist den Jungen unvorstellbar, was den Älteren noch Erlebtes ist. Aber Geschichte vergeht nicht mit denen, die Teil von ihr waren, schon gar nicht im Fall von West-Berlin, diesem sonderbaren Gebilde, über das sich viel Gutes und einiges Schlechtes sagen lässt. West-Berlin war eine unmögliche Stadt, in der das Bestehende spätestens mit dem Mauerbau das Vorstellbare übertroffen hat. Der urbane Torso gemahnte nicht nur an die ganze Stadt, sondern auch an das ganze Deutschland, das in dem Moment Wirklichkeit zu werden begann, wo mit dem Öffnung der Mauer West-Berlins schon fast vergessener Traum in Erfüllung ging, nicht bloß Schaufenster und Leuchtturm, sondern Tor zur Freiheit zu sein.