Im Zusammenhang mit der Bankenkrise stehen zwei Erklärungsmodelle derzeit besonders hoch im Kurs:
1.) Die Gier ist schuld: Raffende Bankmanager wollten viel mehr Reichtümer anhäufen als ein normaler Mensch braucht.
2.) Weil die Banken sich untereinander nicht vertrauen, leihen sie sich keine Gelder und es fehle erst ihnen, dann allen Wirtschaftsakteuren an Liquidität.
Gier und Vertrauensverlust, das sind zwei ganz klar psychologisierende Erklärungsmodelle, die wiederum (magische Zahl?) zwei Dinge gemeinsam haben:
1.) Sie befriedigen das Bedürfnis nach Schuldzuweisung an die, deren tägliche Tätigkeit für Durchschnittsbürger nicht besser zu verstehen ist als Forschungsarbeiten über gekrümmten Raum für den Müllmann.
2.) Sie sind Bullshit.
Warum? Wie kann man so etwas sagen?
Tatsächlich ist es so, daß mangelnde Liquidität eben nicht der Grund dafür ist, daß sich Banken untereinander nichts mehr leihen. Sondern Überschuldung. Der Unterschied ist wichtig: Insolvenz aufgrund von Zahlungsunfähigkeit bedeutet, dass eine Bank nicht mehr in der Lage ist, ihre fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Überschuldung bedeutet, dass das Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Trotz der zahlreichen Behauptungen, es handele sich um eine Liquiditätskrise, liegt eine solche nicht vor. Denn es wäre einfach, ihrer Herr zu werden: Man veräußert oder beleiht langfristig gebundene Vermögensgegenstände um die kurzfristigen Verbindlichkeiten zu finanzieren. Eine überschuldete Bank kann aber genau diesen Schritt nicht gehen, da man dann die Deckung langfristiger Verbindlichkeiten anknabbern müßte.
Dies erklärt, warum der Geldverleih der Banken untereinander nahezu eingebrochen ist. Niemand leiht jemandem Geld, wenn die Rückzahlung des Prinzipals gefährdet ist. Kein Zins kann hoch genug sein, wenn die Höhe der Rückzahlung der Quote im Insolvenzverfahren entspricht. Das machen höchstens gewisse Hypothekenbanken, die hier am Anfang der Nahrungskette standen ...
Bei den anderen Banken sind die Aktiva das Problem: Die nach Bilanzrecht vorzunehmenden Abschreibungen auf CDO und ABS haben in der Bilanz Löcher hinterlassen und ihre Bewertung ist problematisch. Welchen Wert hat ein Kreditpaket mittlerer Qualität, das durch 20.000 non-recourse loans besichert ist, wenn unbekannt ist, wie viele von diesen non-recourse loans noch bedient werden? Welchen Wert hat ein Kreditpaket mit 10.000 Subprime-Hypotheken, wenn unklar ist, wann und zu welchem Preis die leerstehenden Gebäude in der Zwangsversteigerung verkauft werden?
Und welche Bank leiht einer anderen Bank Geld, deren Bilanz nunmehr angeschlagen ist und deren Eigenkapital aufgebraucht ist? Kaum eine. Daher wird der Interbankenkreditmarkt bei den gegenwärtigen Immobilienpreisen starr bleiben. Deshalb besorgen sich Banken zunehmend Geld bei Privatkunden über gestiegene Tagesgeldzinsangebote. Deshalb betont die Politik die Sicherheit des klassischen Sparkontos. Und sie besorgen sich Geld bei den Zentralbanken. Und diese machen das inflationäre Spiel mit.
Es ist leicht, hier von einem Vertrauensverlust zu reden, aber unzutreffend. Es wird suggeriert, daß vertrauensstärkende Maßnahmen etwas an der Situation ändern können. Sie können es nicht. Denn es geht um bilanzielle Probleme, nicht um diffuses, unbegründetes Mißtrauen.
Das Teilreservesystem gibt Banken die Möglichkeit, mehr Geld zu verleihen als sie an Einlagen haben. Das kam schon früher vor. In der gegenwärtigen Krise wird das aber ähnlich wie eine falsche Modellpalette und Überkapazität beim Autobauer zu einem echten Problem. Man hat sich Geld bei den Zentralbanken besorgt und - schwups - ist man überschuldet, wenn CDO und ABS im Kurs abschmieren und die Deckung nicht mehr da ist.
Und damit sind wir bei dem zweiten Argument, der Gier. Wenn man ein vielfaches seiner Einlagen als Kredit vergeben kann, dann hat das mit Gier nicht viel zu tun. Allenfalls mit Dummheit. Denn die Kredite müssen erst einmal ausgezahlt werden und bis diese zurückkommen, ist das Eis sehr dünn. Manche Kredite kommen eben nicht zurück. Wenn dann die Einlagen knapp werden ......
Das mit der Gier mag auf viele Manager wohl zutreffen. Aber wäre die Krise ohne deren Bonuszahlungen abgewendet worden? Sicher nicht. Der hier erkennbare Mangel an Anstand Einzelner hat mit der Krise insgesamt wenig zu tun.
Die Steuerzahler blechen indes weder für die vermeintliche Gier, noch für den vermeintlichen Vertrauensverlust. Die Steuerzahler blechen dafür, daß die Zentralbanken der Meinung waren, die Geschäftsbanken im Ergebnis mit einer inflationären Ausweitung der Geldmenge stützen zu müssen. Ob man das Kind nun Facility oder Bailout nennt, bleibt dabei unterm Strich irrelevant.
Ging das nicht anders? Die Zentralbanken hätten darauf verzichten können, die überschuldeten Banken zu retten. Ein funktionierendes Geschäftsmodell wird durch Überschuldung nicht beeinträchtigt, wenn das Unternehmen rekapitalisiert wird. Dieser Prozess wäre von wesentlich kürzerer Dauer gewesen. Einige Banken wären dabei wohl über den Jordan gegangen, aber der Finanzmarkt wäre uns, auch wenn manche hier das gerne herbeireden, nicht um die Ohren geflogen. Und es wäre eine tatsächlich marktwirtschaftliche Entwicklung gewesen. Und kein Bonus wäre steuerfinanziert gewesen.
Gerne fällt auch der Spruch, der Wohlfahrtsstaat würde die Situation stabilisieren. Wie soll ein in fast allen Zweigen bereits defizitäres Sozialversicherungssystem, das selbst immer wieder steuerlicher Zuschüsse bedarf, stabilisierend auf eine Krise wirken, die von den Zentralbanken fragwürdig gehandhabt wird und deshalb ebenfalls Steuergelder frißt, von denen wir ohne Wohlfahrtsstaat vermutlich mehr zur Verfügung hätten (und die selbst dann für diesen Zweck nicht eingesetzt werden sollten)? Das ist kompletter Unfug.