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1.5.2
Da das Assoziationsrecht insgesamt einen "integralen Bestandteil des Gemeinschaftsrechts" bildet, ist das aus den Bestimmungen des ARB 1/80 abgeleitete Aufenthaltsrecht zugleich supranationaler Rechtsnatur und genießt als solches - nach ständiger Rechtsprechung des EuGH – Anwendungsvorrang gegenüber entgegenstehenden Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts (§ 2 Abs. 2 AuslG). Dies bedeutet, dass türkische Staatsangehörige, die die Voraussetzungen insbesondere der Art. 6 oder 7 ARB 1/80 erfüllen, ein Recht auf den Aufenthalt im Bundesgebiet und auf den Zugang zum Arbeitsmarkt haben und ihnen daher eine Aufenthaltserlaubnis von der Ausländerbehörde auch dann zu erteilen bzw. zu verlängern ist, wenn dies nach den Bestimmungen des Ausländergesetzes und seiner Nebenverordnungen (DVAuslG, AAV) nicht zulässig wäre.
1.5.3
Insbesondere haben nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteile „Ergat“ und „Eyüp“) Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis nur deklaratorische Bedeutung, wenn ein türkischer Staatsangehöriger Rechte aus Art. 6 oder 7 ARB 1/80 herleiten kann. Diese Rechte stehen dem betreffenden türkischen Staatsangehörigen im entsprechenden Umfang ohne weitere Voraussetzungen zu, also auch, ohne dass - nachdem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind - eine behördliche Erlaubnis erforderlich ist. Der Aufenthalt und die Erwerbstätigkeit eines solchen türkischen Staatsangehörigen sind somit ohne weiteres erlaubt, selbst wenn der türkische Staatsangehörige eine Aufenthalts- und/oder Arbeitserlaubnis tatsächlich nicht oder nicht mehr besitzen sollte. Eine Aufenthalts- und/oder Arbeitserlaubnis hat damit in solchen Fällen lediglich die Funktion, das Bestehen der entsprechenden Aufenthaltsund/ oder Arbeitsberechtigung nachzuweisen. Sie ist verwaltungsverfahrensrechtlich als feststellender - und mit Hinblick auf die Feststellungswirkung begünstigender - Verwaltungsakt zu betrachten.
1.5.4
Zwar bleibt es der Bundesrepublik Deutschland unbenommen, auch von türkischen Staatsangehörigen, die Rechte aus Art. 6 oder 7 ARB 1/80 herleiten können, die Beantragung der Verlängerung einer Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis zu verlangen. Sanktionen bei Verstößen sind nach der Rechtsprechung des EuGH zulässig, die Verhältnismäßigkeit sei aber bei der Verhängung von Freiheitsstrafen oder einer Ausweisung aus dem Grunde eines Verstoßes überschritten; vgl. aber 1.5.5.6.
1.5.5
Somit ergibt sich für den Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen, der sich auf Rechte nach Art. 6 und 7 ARB 1/80 berufen kann, insbesondere Folgendes:
1.5.5.1
Der Aufenthalt eines solchen türkischen Staatsangehörigen im Bundesgebiet ist erlaubt im Sinne des § 9 DVAuslG, selbst wenn der Staatsangehörige keine gültige Aufenthaltsgenehmigung besitzt.
1.5.5.2
Nach kurzfristigem Verlassen des Bundesgebietes ist die Einreise in das Bundesgebiet auch ohne gültiges Visum bzw. ohne Visum für einen langfristigen Aufenthalt nicht als unerlaubt im Sinne des § 58 Abs. 1 Nr. 1 AuslG zu behandeln. Zur Abgrenzung des kurzfristigen Verlassens gegenüber einer längeren Abwesenheit vgl. 2.2.4.
1.5.5.3
Die Versagungsgründe des § 8 AuslG finden keine Anwendung (auf Nr. 6.4 wird besonders hingewiesen).
1.5.5.4
Der Ablauf einer Aufenthaltsgenehmigung führt nicht zur Ausreisepflicht nach § 42 Abs. 1 AuslG.
1.5.5.5
Der Aufenthalt ohne oder mit abgelaufener Aufenthaltsgenehmigung ist rechtmäßig, was unter anderem auch bei Anwendung der §§ 85 ff. AuslG (Einbürgerung) zu beachten ist.
1.5.5.6
Die objektiven Tatbestände des § 92 Abs. 1 Nummern 1 und 6 AuslG, auch in Verbindung mit Absatz 2a und §§ 92a und 92b AuslG, sind nicht verwirklicht, wenn der begünstigte türkische Staatsangehörige ohne gültige oder mit abgelaufener Aufenthalthaltserlaubnis sich im Bundesgebiet aufhält oder einreist. Dasselbe gilt für den Bußgeldtatbestand des § 93 Abs. 1 AuslG in Verbindung mit den genannten Vorschriften. Da für das Unterlassen der Beantragung der Verlängerung einer nur deklaratorischen Aufenthaltsgenehmigung oder die Einreise ohne ein entsprechendes deklaratorisches Visum weder ein Straftat- noch ein Bußgeldtatbestand vorhanden ist, sind entsprechende Handlungen – entsprechend der für Unionsbürger und deren Angehörige hinsichtlich der Aufenthaltserlaubnis-EG geltenden Rechtslage – nicht strafbar oder bußgeldbewehrt.
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