Zitat von
Klopperhorst
Ich schaue mir ab und zu auf Youtube Filme von Hinterbliebenen für Verkehrstote an.
Je länger die Jahre der Tode dieser jungen Menschen zurückliegen, umso mehr regt sich ein grausiger Gedanke in mir. Es ist ein ähnliches Gefühl, das mich auf Friedhöfen beschleicht, wenn ich ältere Gräber sehe, Grabsteine, die zur Zeit meiner Geburt und früher gesetzt wurden.
Die Gesichter ähneln sich, Mädchen und Jungen, in den 80ern geboren, 2001 oder 2005 bei Verkehrsunfällen umgekommen. Auf den Filmen sind Kerzen, Kuscheltiere und Fotos mit ihren Freunden zu sehen, unterlegt mit einer modernen, traurigen Musik.
Als erstes empfindet man Mitleid. Warum mussten sie so jung sterben? Welchen Schmerz spüren wohl die Verwandten und Freunde?
Als nächstes wird jedoch klar, daß die Angehörigen das nur für sich selbst tun, genauso wie die Gräber auf dem Friedhof nur für die Hinterbliebenen da sind, Beerdigungen, Trauergemeinschaften einen reinen Selbstzweck haben, der im Kern egoistischer Natur ist.
Der Schmerz, d.h. die Sehnsucht nach einem Gestorbenen (zumal, wenn der Tod plötzlich einsetzte), ist ein reiner Trennungsschmerz. Man erlebt dieses Schmerz auch, wenn man eine Beziehung schlagartig beendet.
Das Gewohnte fällt weg, das Gehirn erzeugt einen emotionalen Reflex, eine Trauerarbeit, die vielleicht den Sinn hat, alle Anstrengungen zu investieren, den verlorenen Menschen zurückzugewinnen.
Menschen sind reine Gewohnheitstiere. Die Menschen, mit denen sie sich täglich umgeben und die ihnen emotionale positive Gefühle erzeugen, werden vermisst, nicht aber fremde Menschen, die Anonymen in den Gräbern und Filmen auf Youtube.
Man geht an ihnen vorbei, als sei es das natürlichste der Welt, vielleicht regt sich nur eine kleine philosophische Überlegung und ein grausiges Gefühl des Erstarrens vor der Nichtigkeit unserer Existenz, mehr aber auch nicht.
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