26. August 2008
Die NPD, die über Jahre hinweg großen und teilweise auch disziplinierenden Einfluss auf die rechtsextremistische Szene innehatte, ist offenbar dabei, diesen zu verlieren. Die Neonazi-Szene verselbständige sich derzeit; damit wachse auch die Gefahr rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten in Hessen. Diese Einschätzung äußerte der Präsident des Hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz, Alexander Eisvogel, im Gespräch mit der F.A.Z. Um rechtsextremistische Aktivität besser beobachten zu können, baut seine Behörde derzeit ein „Kompetenzzentrum Rechtsextremismus“ mit sechs neuen Planstellen auf. Ziel ist es, die Internet-Aktivitäten der Rechtsextremisten genauer zu beobachten und deren Verabredungen zu Demonstrationen und Gewalttaten rechtzeitig aufzuspüren sowie Kommunen und Schulen in den betroffenen Regionen besser zu informieren.
Die NPD hatte mit Blick auf die Landtagswahl Ende Januar versucht, negative Schlagzeilen zu verhindern. Doch nachdem sie trotz intensiver Wahlkampfbemühungen nur 0,9 Prozent der Stimmen erreichte, gab ihr Landesvorsitzender Marcel Wöll seinen Posten auf. Der 25 Jahre alte Wöll, zugleich Führer der Kameradschaft „Freie Nationalisten Rhein-Main“, wirkte nach Ansicht des Verfassungsschutzes zuvor wie ein „Scharnier zwischen diesen beiden Welten“, der Neonazi-Szene und der NPD.
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Mit Klappspaten auf Mädchen eingeschlagen
Wöll hatte noch im vergangenen Oktober bei einer Demonstration, die die NPD in Frankfurt-Hausen unter anderem gegen den geplanten Moscheebau organisierte, die angereisten „Autonomen Nationalisten“ dazu aufgerufen, Gewalt zu vermeiden. Wöll, früheres Mitglied der Stadtverordnetenversammlung Butzbach und ehemaliger Abgeordneter des Kreistages der Wetterau, ist mehrfach wegen Körperverletzung vorbestraft.
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Eine Tat bis dahin ungekannter Brutalität ereignete sich Mitte Juli im nordhessischen Schwalm-Eder-Kreis, wo Rechtsextremisten ein Zeltlager der Jugendorganisation „Solid“ der Linkspartei überfielen. Sie stiegen an einem Sonntagmorgen über den Zaun des Campingplatzes am Neuenhainer See. Mit einem Klappspaten schlugen sie von außen auf ein Zelt ein. Ein 13 Jahre altes Mädchen, das darin schlief, wurde schwer verletzt, ihr 23 Jahre alter Bruder leicht verletzt. „Man muss von Glück reden, dass niemand zu Tode gekommen ist“, sagte Eisvogel.
Auftreten „situativ gewaltbereit und aggressiv“
Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes sind die mutmaßlichen Täter den „Freien Kräften Schwalm-Eder“ zuzuordnen, einem losen Zusammenschluss von Neonazis. Ihr Auftreten ist als „situativ gewaltbereit und aggressiv“ einzuschätzen. Im vergangenen Jahr standen in Hessen 32 rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten 89 linksextremistische gegenüber.