Aus dem Vorwort zu "1939 - Der Krieg der viele Väter hatte" von Gerd Schultze-Rhonhof:
„An der deutschen Literatur war für mich verwirrend, dass die frühe Geschichtsschreibung nach dem Kriege offensichtlich unter der Wirkung internationaler vertraglicher Auflagen erarbeitet worden ist, die der deutschen Forschung eine ganz bestimme Richtung gaben. Im Überleitungsvertrag von 1954, Artikel 7 (1) ist verbindlich festgelegt gewesen, dass ‚alle Urteile‘ aus den Nürnberger Prozessen ‚in jeder Hinsicht nach deutschem Recht rechtskräftig und rechtswirksam bleiben und von den deutschen Gerichten und Behörden demgemäß zu behandeln sind‘. Zum Urteilstext des Nürnberger Hauptprozesses von 1946 gehört als und integraler Teil eine 200 Seiten lange Darstellung der Vorkriegsgeschichte aus der Sicht der Sowjets, der Amerikaner, der Briten und Franzosen. Die ‚Tatsachenfeststellungen‘, die diesen 200 Seiten ‚deutscher Geschichte‘ zugrunde lagen, - das sei hier erwähnt – konnten nach Maßgabe des Gerichts auch ohne Beweiserhebung oder gegen die Beweisführung der Verteidigung zustande kommen. Dadurch war der subjektiven Sicht der Siegermächte Tür und Tor geöffnet. Diese Darstellung von ‚deutscher Geschichte‘ aus der Siegerperspektive ist 1954 mit Artikel 7 (1) des Überleitungsvertrages von der Bundesregierung als „in jeder Hinsicht rechtswirksam und rechtskräftig“ und damit als bindend für deutsche Gerichte und deutsche Behörden anerkannt worden. Zu den Behörden gehören die Kultusministerien der Länder, die die Inhalte der Schulgeschichtsbücher zu prüfen und zuzulassen hatten, und die Bundes- und Landesämter und -institute, die sich der Zeitgeschichte widmeten. So darf nicht wundern, dass sich die meisten Schulgeschichtsbücher und auffallend viele der Publikationen der Ämter und der Institute damals und noch heute streng an die ‚deutsche Geschichte‘ halten, die uns die Sieger in Nürnberg 1946 aufgenötigt haben.
Nun könnte man sagen, dass der Überleitungsvertrag und das Jahr 1954 selbst schon Geschichte sind. Doch 1990 wurde die Bindekraft der Urteile des Nürnberger Prozesses per Vertrag ein weiteres Mal verlängert. 1990 wurde der Überleitungsvertrag durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag abgelöst, und die Siegermächte bestanden dabei darauf, dass der besagte Artikel 7 (1) des Vertrags von 1954 weiterhin Bestand hat. In der ‚Vereinbarung vom 27./28 September 1990 zum Deutschlandvertrag und zum Überleitungsvertrag‘, die den Zwei-plus-Vier-Vertrag begleitet, wurde das noch einmal von deutscher Seite schriftlich zugesichert. So weiß man als Leser heute nicht, wo Historiker und Autoren aus der frühen Bundesrepublik vertragstreu die Siegerlesart der Geschichte zu Papier gebracht und nachfolgenden Historikern und Autoren als irreführendes Erbe interlassen haben. ‘ “