Was kann Öffentlichkeit oder öffentliches Interesse in einer pluralistischen, individualistischen Gesellschaft darstellen? Gibt es ein öffentliches Interesse? Wenn ja, worauf beruht es, aus der Summe von 82 Millionen Partikularinteressen?
Meine Überlegung wäre, dass Öffentlichkeit ein Minimum an Wertekonsens bzw. gemeinsamer Identität benötigt. Politische, also gesamtgesellschaftlich verbindliche Entscheidungen, Rechtsauslegungen, benötigen wiederum diese öffentliche Meinung zur Legitimierung.
Wer entscheidet, ob eine Statue saniert wird, wie sich eine Lehrerin anzuziehen hat, was auf dem Lehrplan von Schulen steht, bis wann Abtreibung straffrei ist, welche Sprache in Kindergärten gesprochen wird, welche Wochentage arbeitsfrei sind? Meine These wäre, dass es eine öffentliche Meinung, welche Entscheidungen zu solchen Fragen legitimiert, NOCH in ausreichender Größe gibt, diese aber a) im Verschwinden begriffen ist, da sie im Kern durch die noch wenig pluralisierte Generation der 45-65jährigen getragen wird, welche aber zeitnah abgelöst werden wird, und b) durch die fehlerhafte Selbstwahrnehmung der Gesellschaft, die einen solche Grundkonsens nicht wahrhaben will bzw für obsolet erklärt, auch keine Maßnahmen zur Erhaltung dieser Öffentlichkeit eingeleitet werden.
Wie seht ihr das Problem? Kann ein freier Markt, wenn er erst einmal auch vollständig auf Werte, Identitäten, Kulturen, Erziehung, Stadtplanung, Architektur usw. ausgedehnt ist, eine einen Grundkonsens beinhaltende Öffentlichkeit ablösen? Haben dann Begriffe und Konstrukte wie Repräsentation, Legitimität, Verfassung noch einen Sinn?