Horst Köhler ist meines Wissens einer der Hauptprotagnonisten des Neoliberalismus in diesem Land.

Wer vom Segen des Neoliberalismus überzeugt ist, wird diesen Präsidenten als Segen empfinden. Wer nicht, eher als das Gegenteil.

Nun gehört zum üblichen Standard-Stammtischgesülze in diesem unseren Lande, dass wir alle über unsere Verhältnisse leben, zu wenig arbeiten und dass es zu viele Sozialschmarotzer gibt. Wenn dann das Soziale endlich wegrationalisiert ist, dann wird es uns allen bestens gehen. Außerdem scheinen die sogenannten Wirtschaftsexperten ja gleicher Ansicht zu sein.

Unbestreitbar ist, dass die keynesianische Ideologie des „Deficit Spending“ – d.h. die künstliche Ankurbelung von Nachfrage – nicht mehr der Weisheit letzter Schluss ist. Nichts gegen Keynes, er ist und bleibt einer der größten Wirtschaftsdenker des 20. Jahrhunderts. Seine Lehren werden fälschlich und ideologisch gewollt auf „Deficit Spending“ reduziert.

Der Neoliberalismus kann aber auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein, im Gegenteil. Wer etwa glaubt, es reiche „etwas zu sparen“ und „etwas mehr zu arbeiten“, wird sich eines Tages wundern. Im Zeitalter der Globalisierung werden die Großunternehmen zunächst alle staatlichen Zuschüsse in Anspruch nehmen, um sich weiter zu globalisieren. Dann werden sie die „faulen Arbeitnehmer“ erpressen, auf Urlaubszeit und Einkommen zu verzichten. Solange sich jedoch noch irgendwo ein Ländchen findet, in welchem Arbeitnehmer für einen Appel und ein Ei arbeiten, werden sie nach Inanspruchnahme aller staatlichen Hilfen in dieses merkwürdige Ländle umsiedeln. Sobald dort die Arbeitnehmer anfangen, Ansprüche zu stellen (also nicht mehr 60 Stunden für die Hälfte des bundesdeutschen Einkommens arbeiten wollen, was sie sich irgendwann aufgrund anziehender Preise auch nicht mehr leisten können), findet sich womöglich noch ein Land, das weiter östlich liegt. Wenn Polen zu teuer ist, dann gibt es noch die Ukraine. Und wenn die Ukraine zu teuer ist, dann expandiert man in den Ural. Es ist völlig sinnlos, hier auf Güte oder Anstand oder Ethik zu vertrauen. Denn in der globalisierten Wirtschaft sind die Unternehmen sowohl Treiber als auch Getriebene: Die Unternehmensleitungen können nicht anders, denn es geht hier nach dem Motto: Wenn ich es nicht tue, tut es ein anderer, und der macht mich dann „platt“. Auch wenn deutsche Arbeitnehmer auf 20 Prozent ihres Gehalts verzichten und 30 Prozent länger arbeiten würden, findet sich immer noch ein Ländlein, in dem es billiger geht.

Selbst wenn wir anerkennen müssen, dass manches in unserem Lande zu lax ist und dass sich einige auf ihren Lorbeeren ausruhen: Die Beseitigung dieser Missstände wird nicht zu neuen Arbeitsplätzen führen, sondern allenfalls den Erosionsprozess minimal verlangsamen (ich vermute, wegen deflationärer Tendenzen wird er nicht verlangsamt, sondern noch schneller ablaufen). Allerdings werden es die Unternehmens- und Staatslenker immer toller treiben: Wenn die deflationären Maßnahmen nicht ziehen, werden diese Leute fordern: Noch mehr Lohnverzicht, noch mehr arbeiten. Wenn auch dies nicht hilft, werden sie weitere, immer dreistere Forderungen stellen.

Die Lösung der Probleme liegt nicht im Kommunismus und auch nicht im entfesselten Kapitalismus. Was wir benötigen, ist die Wiedergeburt einer klassischen Nationalökonomie. Hier schreibt jemand, der links- oder rechtsradikaler Tendenzen (trotz des Wortes „Nationalökonomie“) gänzlich unverdächtig ist und der sich für Europa engagiert – aber nicht für dieses Europa globalisierender und sinnlos rivalisierender Büro- und Technokraten, dem sich jüngst einige USA-hörige osteuropäische Länder zugesellt haben. In der Tat könnte die EU dem globalisierenden Wahnsinn in konzertierten Aktionen vieles entgegensetzen. Deutschland und Frankreich beispielsweise haben mehr gemeinsame als unterschiedliche Interessen. Darüber hinaus kann in dem globalen Spiel nur eine Bündelung europäischer Kräfte gegen die anderen großen Blöcke standhalten: Im Alleingang würden wir uns als exportorientierter Staat nur isolieren und selbst schaden. Nur sehe ich zur Zeit keine politische Kraft, welche solche Erfordernisse tatsächlich durchsetzen wollte und könnte.

Daher fürchte ich, dass wir den sich abzeichnenden gigantischen Irrweg mit allen historisch negativen Folgen durchschreiten müssen. Ich schätze, dass in 10 Jahren jeder noch so idiotische Politiker die erschreckenden Konsequenzen der heutigen Wirtschaftsideologie(n) erkennen wird. Einer der Hauptprotagonisten ist meines Wissens Horst Köhler. Warten wir ab, wie in 10 Jahren über diesen Bundespräsidenten zu urteilen sein wird – aber nicht nur über ihn, sondern auch über Schröder, Merkel, Stoiber und Anhang.