Auch der an seine Stelle ab den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts in ganz Europa gesetzte Begriff des Antisemitismus als rassisch-völkische Ausprägung von Gegnerschaft und Haß gegenüber Juden war in Japan bis ins 20.Jahrhundert hinein allgemein unbekannt.
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Mit der Ankunft portugiesischer und hölländischer Schiffe im ‚christlichen Jahrhundert‘ (1542-1639) sollen zum ersten Mal Juden japanischen Boden betreten haben. Doch erst über zweihundert Jahre später, nach der erzwungenen Öffnung des Landes durch Kommodore Matthew Perry im Jahre 1854, zogen im Rahmen des aufkommenden internationalen Handels hauptsächlich jüdische Kaufleute aus Europa (Deutschland, England, Frankreich, Rußland), dem Vorderen Orient (Irak, Syrien) und Indien nach Japan, um dort auf Dauer zu siedeln
(Dicker 1962 : 162).
Im Jahre 1861 bildete sich die Jüdische Gemeinde 28 Yokohama, die bis zum Jahre 1895 auf fünfzig Familien anwuchs. Um diese Zeit entstand die erste Synagoge in Japan. In Nagasaki hatte sich Ende der achtziger Jahre eine kleine Gruppe russischer Juden niedergelassen, die wegen Verfolgungen im Zarenreich geflohen waren 1.
Noch bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges war in der japanischen
Bevölkerung weit verbreitet, daß Juden eine christliche Sekte seien.
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Zu seinen Freunden und Förderern gehörte der prominente Jude Jakob
Henry Schiff, dessen Einfluß sich Jahrzehnte zuvor für Japan achtbar
ausgewirkt hatte. (...)
Im Lichte der herausragenden Bedeutung des Sieges über die Weltmacht Rußland wurden mit Persönlichkeit und Wirken Schiffs die vagen japanischen Vorstellungen von den sprichwörtlich gewordenen Fähigkeiten
jüdischer Macht inkarniert.
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In den erfolgreichen Aktionen Schiffs lagen auch Wurzeln späterer japanischer Judenpolitik.
Sie bestärkten Japan in der Überzeugung, für die künftige
Entwicklung des Landes jüdische Hilfe zu nutzen,
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Die Vorstellung, jüdische Fähigkeiten und Kapital der Juden für die Schaffung eines japanisch dominierten ‚Großasien‘ nutzbar zu machen, gewann ab 1936
zunehmend an Bedeutung.
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Auch wenn ein Mangel an japanischer Judenerfahrung festzustellen war, so zeigt ein Blick in die japanische Literatur zur Judaistik, daß sich seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts japanischsprachige Publikationen, wenngleich in noch geringem Umfang, mit der jüdischen Thematik beschäftigt hatten.
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Es war eher neugieriges Interesse als eigenständig wissenschaftlich erarbeitetes
Verstehen der Zusammenhänge.
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Die Erkenntnisse aus den Protokollen [der Weisen von Zion] bildeten für die japanischen Judenexperten das Schlüsselwissen, mit dem sie sich im Laufe der Zeit ihr eigenes Bild vom Juden konstruierten. Doch sie sollten zum für sie
ohnehin dubios-schwierigen Judenproblem einen weiteren massiven
Ideologieschub westlicher Provenienz durch die Nationalsozialisten
erhalten.
Die umfassende Übersicht von Miyazawa über die in japanischer Sprache erschienene Literatur zum Thema Juden und Israel (Zeitraum 1877 bis 1988) verzeichnet bis zum Jahre 1945 die höchsten Publikationszahlen mit fast 800 Titeln in den dreißiger und vierziger Jahren. Darunter befand sich ein beträchtlicher Anteil westlicher Judenschimpfliteratur, hauptsächlich aus Nazi-Deutschland. Neben dem Hinweis auf Alfred Stosz 37, fällt die mehrfache Erwähnung der Schriften des NS-Chefideologen Alfred Rosenberg 38 auf (Miyazawa 1990 : 288).
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Dessen [Hitlers] Ideen über Juden und über jüdische Zielsetzungen in Japan
sind in Mein Kampf enthalten:
„Die Vernichtung Deutschlands war nicht englisches, sondern in erster Linie jüdisches Interesse, genau so wie auch heute eine Vernichtung Japans weniger britisch-staatlichen Interessen dient als den weit ausgreifenden Wünschen der Leiter des erhofften jüdischen Weltreichs. [. . .] So sucht er den japanischen Nationalstaat noch mit der Kraft ähnlicher Gebilde von heute zu brechen, um sich des gefährlichen Widersachers zu entledigen, [...] Er scheut in seinem tausendjährigen Judenreich einen japanischen Nationalstaat und
wünscht deshalb seine Vernichtung noch vor der Begründung seiner eigenen Diktatur.“
(Hitler 1938286-290 : 722ff.).
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Bevor man jedoch in der politischen und militärischen Führung Japans im Rahmen von Außen- und Militärpolitik auf das Thema Juden und Fragen des Antisemitismus aufmerksam wurde und entsprechendes Verständnis geweckt werden konnte, war Japan zunächst einmal unerwartet mit den diskriminierenden Auswirkungen der nationalsozialistische Rassenpolitik konfrontiert. Vor dem Hintergrund des schon angesprochenen Begriffes der ‚Gelben Gefahr‘
konnten die Japaner
immer deutlicher erkennen, welche rassistischen Gedanken bei Hitlers
Ausführungen zu ‚Volk und Rasse‘ sich hinter seinen Erläuterungen zu
Kulturbegründer, Kulturträger und Kulturzerstörer verbargen:
„[. . .], genau so wie die heutige japanische Entwicklung arischem Ursprung das Leben verdankt, [. . .] kann man solch eine Rasse wohl als eine „k u l t u r t r a g e n d e“, aber niemals als eine „k u l t u r s c h ö p f e r i s c h e“ bezeichnen“ (Hitler 1938[286-290] :
319).
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Die Pläne der ‚Judenexperten‘ fanden nicht die ungeteilte Zustimmung der Militärs in Tôkyô. Man kritisierte den Plan zur Errichtung eines autonomen Judenstaates in Asien, wenngleich er auch unter japanischer Überwachung stehen sollte.