Dreifachmord in Overath - Der Hintergrund einer Gewalttat
Bericht: Andreas Maus, Ingo Benitz
Sonia Mikich: "MONITOR, heute zu später Stunde, willkommen. Interessante und wichtige Themen haben wir für Sie, unter anderem: Neues Chemikalienrecht: Wie giftig ist es in Ihren vier Wänden? Und: GM-Waffen: die neueste Entwicklung aus amerikanischen Militär-Labors. Und: Familienberatung: Wie dummes Sparen auf Kosten von Kindern aussieht.
Zunächst unser erstes Thema. Der Dreifachmord von Overath. In der bergischen Kleinstadt bei Köln wurden vor gut drei Wochen ein Rechtsanwalt, seine Frau und Tochter ermordet. Mit einer Pumpgun hingerichtet. Der mutmaßliche Täter - schnell gefasst. Die Sensationsmedien - sich schnell einig: das war ein Irrer, ein unerklärlicher Einzelfall. Wir wollten uns nicht so schnell zufrieden geben. Denn Gewalt hat immer einen Hintergrund. Sie kommt nicht aus dem Nichts. Hass gegen die Gesellschaft und Verherrlichung von Gewalt und Waffen sind eben nicht nur persönliche Defizite von Einzeltätern. Der Satz: 'Das Private ist politisch' stimmt immer noch. Die Geschichte des mutmaßlichen Mörders von Overath ist auch eine politische. Er war lange Zeit in der rechtsextremen Szene aktiv, gab sich radikalen Gewaltfantasien hin.
Andreas Maus und Ingo Benitz haben spannende Einblicke in die Psychologie eines Dreifach-Mordes gewonnen."
"Unser Ziel, kein Spiel, mit Wut, mit Blut."
Mit so einer Musik putschte er sich auf. Kein Spiel. Unser Ziel. Wut. Blut. Nazirock. Die ihm begegnet sind, sagen, er fuhr durch die Gegend voller Hass und Gewalt.
Das grausame Ende der Fahrt. Die Blumen sind noch frisch auf den Gräbern. Drei Wochen ist es jetzt her, seit Hartmut Nickel und seine Familie brutal ermordet wurden. Der Täter marschierte am helllichten Tag in die Kanzlei des Rechtsanwalts in der Kleinstadt Overath, erschoss Hartmut Nickel, seine Frau, seine Tochter. Das Motiv: 10.000 Euro Mietschulden sollen es gewesen sein, die der Anwalt für einen Klienten von dem mutmaßlichen Mörder eingeklagt hat. Opfer und Täter, sie sind sich vorher niemals begegnet.
Eine Geschichte, wie geschaffen für die Titelseiten der Boulevardpresse. Der mutmaßliche Täter: Thomas Adolf, ein Mann mit einem bizarren Lebenslauf. Als Schüler Sympathisant der linken RAF, mutiert er später zu einem militanten Neonazi. Gescheiterter Kleinunternehmer, Söldner, Waffennarr. Erklärungsversuche:
Prof. Christian Pfeiffer, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen: "Und von daher ist immer wieder bei ihm schon in den Berichten über ihn als Jugendlichen erkennbar, dass er auf der Suche ist, dass er sich ohnmächtig fühlt, dass er sich missachtet, nicht genügend wertgeschätzt fühlt und immer wieder Aufmerksamkeit sucht durch spektakuläre Aktionen, durch Gewalt."
Für die Sensationsmedien ist er ein wirrer Einzeltäter, ein Amokläufer. Sein rechtsradikaler Hintergrund interessiert wenige. Doch genau in dieser Welt suchte er eine Heimat.
Letzten Samstag in Dortmund. Rechtsradikale Parteien und der so genannte nationale Widerstand protestieren gegen die Wehrmachtsausstellung. Freie Kameradschaften, Skinheads. Und Leitmotive, die immer wieder auch bei Thomas Adolf auftauchen. Der Hass gegen den Staat, die eigene Ohnmacht, Gewaltphantasien, Männlichkeitswahn.
Die Tat, sie kam aus dem Nichts, aber sie hat eine Geschichte, Wurzeln. Jörg Fischer war jahrelang Protagonist und Vordenker in der rechtsradikalen Szene. Er hat den Absprung geschafft und hilft uns, das rechte Milieu und seine Gewaltbereitschaft zu begreifen.
Jörg Fischer, Ex-Neonazi: "Seine Tat hat ja nicht im luftleeren Raum stattgefunden, er hat ja agiert auf der Grundlage von der Ideologie, die er einbekommen hat, die er eingeimpft bekommen hat, und er hat ja natürlich auch ne sehr lange Karriere in der rechtsradikalen und neonazistischen Szene. Er ist eingebunden gewesen bis zum Zeitpunkt der Tat und hat auch ein entsprechendes Umfeld, und letztendlich hat er ja nur das umgesetzt, was in der Theorie immer propagiert wird und was sein theoretisches Grundgerüst ist."
Von der Theorie zur Praxis. Es beginnt zunächst ganz bürgerlich bei Thomas Adolf. Anfang der neunziger Jahre taucht er in Köln auf. Versucht eine Karriere im rechtsnationalen Milieu. Er ist kein Mitläufer. Er schreibt programmatische Artikel und ruft in einschlägigen Publikationen zur Einigung aller rechten Kräfte auf. 1994 schließt er sich der Deutschen Liga in Köln an, wird aktiv im Kommunalwahlkampf. Die Deutsche Liga für Volk und Heimat. Sie agitiert gegen Ausländer und Asylbewerber. Dabei ummäntelt sie sich volkstümlich und populistisch. Und Thomas Adolf kandidiert auf der Liste der Deutschen Liga für die Kommunalwahlen, an zweiter Stelle. Doch er scheitert.
Und dann die unheimliche Wandlung: Aus dem bürgerlichen Rechtsextremen wird ein militanter. Zwei Gesichter - eine Ideologie. Der Verfassungsschutz will ihn als V-Mann nicht haben. Thomas Adolf taucht ab.
Ein abgelegener Hof in Overath. Hier lädt Thomas Adolf zu Kameradschaftsabenden. Sie hören Nazi-Rock, geben sich Gewaltphantasien hin. Diffus, unorganisiert, aber mit Zielen.
Keine Reue. Nach der Tat verhöhnt Thomas Adolf die Opfer. Aus dem Gefängnis heraus verbrämt er die Morde politisch, menschenverachtend. Die Anwälte stehen dabei für das verhasste "System".
"Nach jahrelanger Analyse des deutschen Volks- und Rechtswesens und angesichts der zahllosen Opfer ... war die Exekution dieser drei wertlosen zerstörerischen Elemente mehr als notwendig."
Jörg Fischer, Ex-Neonazi: "Also der Kampf gegen den Staat ist ein ganz elementarer Bestandteil der rechten Ideologie, weil sie diesem Staat ja auch die Existenzberechtigung absprechen. Für sie ist das hier ein Gebilde, von Besatzungsmächten gegründet, wird bestimmt von irgendwelchen Personen; da spielen dann Verschwörungstheorien 'ne Rolle, also da wird dem Staat die Existenzberechtigung abgesprochen, und logischerweise auch allen Repräsentanten und allen Menschen, die irgendwas mit dem Staat zu tun haben. Beispielsweise Anwälte, die ja aufgrund ihres Berufsstandes hier mit dem Staat und den Gesetzen zu tun haben."
Zurück in Dortmund. Zwischen Parolen wie "Nazis raus aus den Gefängnissen" versuchen wir Antworten zu bekommen.
Reporter: "Was denkt denn die Szene über Thomas Adolf?"
Rechtsradikaler Demonstrant: "Kein Kommentar."
Reporter: "Was denkt ihr denn über Thomas Adolf in Overath?"
Demonstrant: "Nein! Zu interpretieren oder misszuverstehen. Nein!"
Reporter: "Wir wurden eben gefragt, worüber wir senden. Wir senden über Overath und Thomas Adolf."
Demonstrantin: "Warum lassen Sie die Leute nicht in Ruhe?"
Reporter: "Wir fragen ja nur."
Demonstrantin: "Ja, die Leute geben keine Antwort, und da brauchen Sie ja auch nicht noch zehnmal fragen, dann hat sich das erledigt."
Reporter: "Thomas Adolf und Overath und rechte Szene, ist das keine Diskussion bei Ihnen?"
Demonstrantin: "Das ist schon 'ne Diskussion, aber das braucht jetzt nicht hier ausdiskutiert werden. Hier ist jetzt im Endeffekt 'n anderes Thema, und das hat jetzt hier nichts zu suchen."
Thomas Adolf und der rechte Wahn, der sich steigert. Vor anderthalb Jahren soll er sich hier in Köln die Tatwaffe besorgt haben. Wohl mehr geplante Tat als Amok. Er hält sich mit Taxifahren über Wasser. Agitiert. Präsentiert sich Bekannten mit Waffe, redet vom Töten. Hetzt andere auf, es ihm gleich zu tun. Und immer wieder der Hass auf Anwälte. Und dann explodiert er.
Jörg Fischer, Ex-Neonazi: "Wir haben das Problem oder den Punkt, dass Durchgeknallte, fast schon Verrückte nicht die Ausnahme sind, sondern dass das der Normalzustand ist, und dass das eigentlich nur 'ne Frage der Zeit ist. Also, bei Neonazis haben wir wirklich den Punkt, dass wir davon reden können, dass es tickende Zeitbomben sind, wir haben hier keine Gruppe von Leuten, die mal ein bisschen schwadronieren oder mal am Stammtisch die Faust ballen, sondern das sind wirklich potentielle Mörder, die jederzeit zu Tätern werden können."