Al-Qaida rühmt sich Dutzender Toter
Von Yassin Musharbash
Die Geiselnahme im saudischen Chobar verlief blutiger als bisher angenommen. Ein Diplomat teilte mit, die Sicherheitskräfte hätten neun Leichen gefunden, als sie ein von al-Qaida-Kämpfern besetztes Gebäude stürmten. Insgesamt kamen bei dem Terror-Angriff mindestens 25 Menschen ums Leben, darunter einige Europäer.
Berlin - Das im Internet auf einer einschlägigen islamistischen Website aufgetauchte Bekennerschreiben enthält eine detaillierte Schilderung der bisher noch unklaren Ereignisse von Chobar aus Sicht der Terroristen. Die Mitglieder der Zelle, die ihr Schreiben mit "Die Organisation Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel" unterzeichneten, behaupten, nacheinander drei verschiedene Standorte westlicher Firmen in der ostsaudischen Stadt und ihrer Umgebung angegriffen zu haben. Ihrer Darstellung zu Folge starb nur einer der Angreifer; den Übrigen gelang angeblich die Flucht.
Der saudi-arabische Diplomat Jamal Kashoggi teilte mit, dass die Sicherheitskräfte auf dem besetzten Gelände neun Leichen fanden als sie es stürmten. "Ich glaube, das Gebäude wurde gestürmt, als die Extremisten anfingen, die Geiseln zu töten", sagte Kashoggi. Die Zahl der Toten stieg damit auf mindestens 25. Unter den Toten sind unbestätigten Berichten zufolge zehn Inder, mehrere Saudi-Araber, drei US-Amerikaner, zwei philippinische Christen und jeweils ein Brite, Italiener und Schwede. Das saudi-arabische Innenministerium nannte am Abend eine etwas geringere Anzahl von Toten: Bei der Schießerei seien 22 Menschen ums Leben gekommen.
"Der gesegnete Überfall begann damit, dass vier Mudschahidin in das Gelände der Firma Petroleum Center eindrangen", heißt es in dem Bekennerschreiben der Qaida. Die Firma sei zum Ziel erkoren worden, weil sie zum multinationalen Konzern Halliburton gehöre, auf dessen Rolle "im US-amerikanischen Besatzungsprojekt" al-Qaida-Chef Osama Bin Laden kürzlich in einer Predigt hingewiesen habe. Vier Menschen seien hier von ihnen erschossen worden, behaupten die Terroristen: Zwei US-Amerikaner, ein saudischer Sicherheitsangestellter und ein "anderer Westler".
Danach seien die Mudschahidin zum Sitz einer andere Firma gegangen und hätten dort den Direktor für finanzielle Angelegenheiten, einen britischen Staatsbürger, getötet. Zwei saudische Angestellte seien ebenfalls getötet, ein dritter verwundet worden. Außerdem seien "zwei christliche, philippinische Angestellte" ermordet worden.
Inder ermordet aus Rache für Kaschmir
Schließlich behaupten die Täter, sie seien zu einem dritten Ort, einem Wohnkomplex, weiter gezogen, wo sie "eine Zahl Westler töteten, darunter einen US-Amerikaner, einen Italiener und einen Schweden". Deswweiteren bezichtigen sich die Qaida-Kämpfer selbst, zehn Inder umgebracht zu haben. Als Rechtfertigung führen sie die Tötung "unserer muslimischen Brüder in Kaschmir" an. Nur einer der Attentäter, dessen Name als Ghamr Ibn Sihadsch al-Bakami angegeben wird, soll den Tod gefunden haben.
In dem Schreiben wird betont, dass die Angreifer die Muslime, denen sie begegnet seien, geschont und wieder frei gelassen hätten. Diese Vorgehen spricht für eine Verbindung der Terroristen zum mutmaßlichen Qaida-Chef in Saudi-Arabien, Abd al-Aziz al-Mukrin, der in den vergangenen Wochen solche Anschläge kritisiert hatte, bei denen Muslime zu Schaden gekommen waren. Angestellte des saudischen Regimes bezeichnen die Terroristen deshalb nicht als Muslime, sondern als "vom Glauben Abgefallene".
Als Begründung für den Überfall führen die Täter "die Befreiung der Erde der Muslime an". Auf der arabischen Halbinsel müsse eine "Reinigung" von den Christen und Ungläubigen stattfinden.
Zwei Todesfälle bestätigt
Noch ist unklar, ob diese Darstellung des Ablaufs der Ereignisse mit dem tatsächlichen Tathergang übereinstimmt. Bislang bestätigte die US-Botschaft in Riad lediglich den Tod eines US-Amerikaners; das italienische Außenministerium bestätigte den Tod eines ihrer Bürger. Verschiedene Augenzeugen hatten von getöteten Westlern berichtet.
Unstrittig ist, dass Terroristen gestern mehrere Anlagen und Wohnkomplexe westlicher Firmen in Chobar und Umgebung attackiert haben. Bis zu 16 Menschen, darunter neun Ausländer und sieben Saudi-Araber, sollen umgekommen sein, hieß es noch gestern Abend. Zwischenzeitlich befanden sich offenbar 50 bis 60 Personen in der Gewalt der Terroristen. Ebenfalls gestern war schon ein erstes Bekennerschreiben der al-Qaida aufgetaucht. Die saudischen Behörden teilten heute Nachmittag mit, Dutzende Geiseln seien nun wieder frei. Mindestens 17 Personen seien durch die Terroristen getötet worden, hieß es.
Nach offizieller saudischer Darstellung konnte die Geiselnahme heute Morgen durch den spektakulären Einsatz einer saudischen Spezialtruppe beendet werden. Zwei Angreifer seien dabei getötet worden, hieß es; der Anführer und einige weitere Terroristen seien festgenommen worden.
Mittlerweile hat die Bundesregierung unter dem Eindruck der Ereignisse von Chobar ihre Reise- und Sicherheitsempfehlungen für Saudi-Arabien verschärft. "Die Sicherheitslage in Saudi-Arabien hat sich verschlechtert", erklärte das Auswärtige Amt am Sonntag auf seiner Internet-Seite. Unter Hinweis auf die jüngste Terrorwelle empfahl das Ministerium, "kritisch zu überprüfen, ob der eigene Aufenthalt und der von Familienangehörigen in Saudi-Arabien erforderlich ist."