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EU UND TÜRKEI
Erdogan liest Merkel die Leviten
Türkeis Premierminister Recep Tayyip Erdogan hat vor dem Treffen mit Angela Merkel die deutsche EU-Ratspräsidentschaft unter der Kanzlerin massiv kritisiert. "Ich habe im Ernst mehr von Deutschland erwartet", sagt Erdogan in einem SPIEGEL-Interview.
Hamburg - Schon bei der Entscheidung der EU, einen Teil der Verhandlungskapitel wegen des Streits um Zypern auszusetzen, "hätte Deutschland uns stärker unterstützen können", kritisierte Erdogan. Vor allem die Entscheidung, die Türkei nicht zur 50-Jahr-Feier der EU nach Berlin einzuladen, bezeichnete der Premier als "großen Fehler". Das "überschattet die deutsche Ratspräsidentschaft", sagte Erdogan, der morgen gemeinsam mit Merkel die Hannover Messe eröffnen wird.
Erdogan forderte eine klare Beitrittsperspektive für sein Land. "Wir möchten ein klares Zieldatum, eine Roadmap, einen Zeitplan für die Verhandlungen", sagte der Premier. Das könne der türkischen Bevölkerung zeigen, "dass Europa es ernst meint".
Vor allem aber rufe er die EU auf, "ehrlich zu sein: Wenn sie uns nicht will, soll sie das jetzt klar sagen. Wenn wir nicht gewollt werden, brauchen beide Seiten nicht länger ihre Zeit mit Verhandlungen zu verschwenden". Als mögliches, realistisches Beitrittsdatum nannte er 2014, 2015.
Zur Forderung des türkischen Generalstabschefs Yasar Büyükanit nach einer türkischen Militärintervention im Nordirak zur Bekämpfung kurdischer PKK-Rebellen, die dort Unterschlupf gefunden haben, sagte Erdogan: "Jahrelang haben wir geduldig gewartet. Nach internationalem Recht steht es uns zu, unsere nationale Sicherheit zu garantieren." In einer diplomatischen Note nach Bagdad habe Ankara den Irak bereits aufgefordert, "endlich entschieden gegen diese Terroristen durchzugreifen". Andernfalls habe die Türkei das "Recht auf Selbstverteidigung".
Den umstrittenen Paragrafen 301, nach dem auch Nobelpreisträger Orhan Pamuk wegen vermeintlicher "Verunglimpfung des Türkentums" vor Gericht gestellt wurde, will Erdogan trotz erheblicher Kritik aus Brüssel nicht abschaffen. "Ich denke nicht, dass er ganz fallen sollte. Immerhin wird darin auch das Recht auf Kritik geschützt", so Erdogan.