Was Putin von Roosevelt lernt
Wenn auf die wirtschaftliche Erholung Rußlands hingewiesen wird, kommt sogleich der in Teilen berechtigte Vorwurf, dieser Aufschwung basiere größtenteils auf den Öl-und Gasreichtum des Landes und damit einhergehend auf den hohen Preis für Energie weltweit.
Oberflächlich betrachtet mag das durchaus stimmen, aber ein Blick ins Detail läßt uns Tendenzen erkennen, welche die "Angst des Westens vor den erstarkenden russischen Horden" aus ihrer Sicht nachvollziehbar machen.
Warum? Nun, zum Ersten muß ersteinmal festgehalten werden, daß sich die Wirtschaftspolitik unter Putin eindeutig von der des Westens mitsamt seinen neoliberalen Rezepten unterscheidet. Während sich in den westlichen Industrienationen der Staat immer mehr aus der Wirtschaft zurückzieht, und die Politik dadurch auch immer mehr an Einfluß-und Gestaltungsmöglichkeiten verliert, geht Rußland einen diametral anderen Weg. Mit der Renationalisierung der Naturreichtümer, vornehmlich im Öl-und Gassektor, verschaffte sich der russische Staat endlich wieder den Zugang zur Ökonomie, der es ihm erlaubt, vital das Schicksal des Landes zu beeinflussen, oder konkreter ausgedrückt: Der russische Staat holte sich den gesellschaftlichen Gestaltungsspielraum zurück, den er unter Jelzin so freigiebig an eine Hand voll Oligarchen abgab. Das Ergebnis ist uns allen bekannt.
Dazu ein Link, der diesen Aspekt vertieft: [Links nur für registrierte Nutzer]
Warum wurmt das dem Westen? Doof sind sie ja nicht, die Herren in Washington und Brüssel. Sie wissen genau, was sie tun und was sie sagen. Wenn sie behaupten, Rußlands Wirtschaft wird wieder zentralisiert und vom Staat gelenkt, dann haben sie recht. Ihre Bedenken, die in Wirklichkeit nichts weiter sind als Angst, sind aus ihrer Sicht wohlbegründet. Denn während die Welt ein neoliberales Konzept nach dem anderen aufgebrummt bekommt mit der Begründung der Alternativlosigkeit, stellt Putin das Gegenteil unter Beweis. Wenn das Schule macht, ist es um die Alternativlosigkeit des Neoliberalismus schlecht bestellt.
Wer also stets behauptet, in Rußland herrsche Kapitalismus, dann mag er insofern recht haben, als das sich dieser Kapitalismus grundlegend von der Wirtschaftsordnung unterscheidet, die der Westen zu seiner eigenen gemacht hat. Doch Definitionsfragen helfen uns nicht weiter.
Kommen wir auf die Ausgangsthese zurück. Der chinesische Staatspräsident Hu Jintau beendete in der vergangenen Woche seinen dreitägigen Rußlandbesuch, der mit einigem Pomp, dem Anlaß also entsprechend, zelebriert wurde. Ziel dieses Besuches war die Ausweitung der wirtschaftlichen Kooperation beider Länder. Unabhängig davon, daß allein schon diese Tatsache dem Westen Kopfschmerzen bereitet, da eine Umorientierung der russischen Energiepolitik hin zum asiatischen Raum im Westen die Befürchtung reifen läßt, von den russischen Energielieferungen längerfristig abgeschnitten zu sein, sind es noch andere Details, die aufhorchen lassen. Denn Moskau will in Zukunft nicht mehr allein als Rohstofflieferant herhalten müssen, denn auf lange Sicht hin ist so ein wirtschaftliches Konzept wenig geeignet, sich für die Zukunft zu rüsten. Da gebe ich allen foreninternen Kritikern durchaus recht.
Anfang Februar verkündete Präsident Putin einen neuen Wirtschaftskurs, der zu einer Diversifizierung der russischen Ökonomie führen soll:
Es sei sehr wichtig, dass die russische Regierung Entwicklungsprogramme für Energiewirtschaft, Transportwesen und Luftfahrt angenommen habe, sagte Putin. Zwar sei die Regierung ein Programm für den Schiffbau nach wie vor schuldig, doch dafür sei aber bereits beschlossen worden, „die Rüstungsindustrie und die wissenschaftliche und technologische Basis - also die Wirtschaftszweige des Landes, von denen die Wettbewerbsfähigkeit der russischen Unternehmen abhängt, - zu entwickeln“, sagte Putin.
Rückblickend auf seine bereits sieben Jahre währende Amtszeit bezeichnete Putin die Stärkung der Wirtschaft als eine seiner wichtigsten Errungenschaften. „In diesen Jahren ist es uns gelungen, hohe Wachstumsraten zu erzielen, den Schwerpunkt auf die Diversifizierung der Wirtschaft und auf die Lösung von sozialen Problemen zu verlegen.“[Links nur für registrierte Nutzer]
Putin führte auf seiner jährlich stattfindenen Pressekonferenz aus, daß "es an der Zeit ist, die Abhängigkeit vom Rohstoffexport zu überwinden und sich auf wissenschaftsintensive Produktionsbereiche umzustellen."
Die russische Wirtschaftsexpertin Julia Zepljajewa stellte fest, daß alle Versuche, Industriezweige jenseits des Rohstoffsektors zu fördern, die Endphase der Wirtschaftspolitik Putins vor den 2008 stattfindenen Präsidentschaftswahlen bestimmen. (Dazu bitte unbedingt folgenden Beitrag lesen: [Links nur für registrierte Nutzer])
Und hier kommen wir wieder auf den Ausgangspunkt zurück, der die Zentralisierung und Teilverstaatlichung der russischen Industrie zum Inhalt hat: Mit dem wachsenden Einfluß des Staates in vielen Wirtschaftsbereichen verfügt der Kreml inzwischen auch über die Mittel, um Diversivizierungen direkt und vor allem schnell einzuleiten. Hier offenbart sich der Vorteil einer zentral geleiteten Ökonomie gegenüber den schwerfälligen und vor allem neoliberalen Wirtschaftsrezepten der EU.
Denn ausgehend vom von der Wiederverstaatlichung des Energiesektors baute Moskau seinen Einfluß in den Bereichen der Ökonomie aus, die man in Rußland als "strategisch relevant" definiert. Dazu gehören Teile der Schwerindustrie, der Fahrzeugproduktion, der Rüstungsindustrie (also der MIK) sowie auch der Flugzeugbau. Von der Eisenbahn und der Post ganz zu schweigen, die wie selbstverständlich in staatlicher Hand zu bleiben haben.
Diese "Nationalen Champions", also staatlich gelenkte Großkonzerne, sollen in die Lage versetzt werden, auf dem Weltmarkt zu expandieren und den westlichen Multis Konkurenz zu machen. Gemessen an der immer schärfer werdenden Kritil gegenüber dem Kreml, scheint das den russischen Firmen immer besser zu gelingen. RIA-Nowosti berichtete, eine starke staatliche Unterstützung könne einzelne Wirtschaftssparten zu weltweiten "Spitzenreitern" machen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Aussage von Boris Titow, dem russischen Unternehmervertreter, also eine Art russischer "Dieter Hund". Allerdings würde der sich niemals zu solchen Aussagen hinreißen lassen, wie sein russischer "Kollege". Der forderte nämlich, die Erfahrungen aus der "New-Deal-Politik" des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt im heutigen Rußland zu verwirklichen. Titow sieht das Verhältnis von privaten Unternehmertum und dem Staat als eine "sehr wichtige Komponente" der Wirtschaftspolitik Roosevelts. "Wir waren alle der Meinung, daß der Markt alles regeln wird. Als Ergebnis bekamen wir nicht den Markt, sondern wilden Kapitalismus, ... der 1998 zur Krise führte", so Titow gegenüber RIA-Nowosti ([Links nur für registrierte Nutzer].
Diese ganzen Erscheinungen der russischen Politik lassen im Westen die Alarmglocken schrillen. Titel wie die des SPIEGELS 10/07 "Der Staat Gasprom", die in bester Kalter-Krieg-Manier zum Besten gebracht wurden, zeugen von dieser latenten Nervosität. Warum das so ist, habe ich ausgeführt. Jeder, der behauptet, Rußland werde auch weiterhin ein unbedeutendes Land bleiben, was nichts weiter besitzt als Raketen und Öl, wird sich schon bald eines besseren belehrt wissen.
"In dieser Zeit hätte ich reich werden können,
aber ich wurde es nicht. Das macht heute meinen Wert aus."