Mit Nikolaus-Mützen maskierte Milizionäre haben in Moskau Redaktionsgebäude mehrerer Kreml-kritischer Medien blockiert und die Mitarbeiter ausgesperrt.
„Die Beamten haben alle Zugänge zu unseren Redaktionen dicht gemacht, sie verboten alle Fotoaufnahmen und weigerten sich, ihre Dienstausweise zu zeigen“, sagte Alexander Ryklin, Chefredakteur der Internet-Zeitung „Eschednjewnij Journal“, zu FOCUS Online. „Die Milizionäre ließen niemand mehr in das Gebäude.“ Betroffen sind außer dem „Eschednjewnij Journal“ die renommierte Internet-Zeitung „newsru.com“, „inopressa.ru“, sowie die kritischen Spartensender „Echo-TV“ und „RTVI“. Bei den Internet-Seiten handelt es sich um einige der wichtigsten Kreml-kritischen Medien, die in Russland verblieben sind.
Die Zukunft der betroffenen Redaktionen sei nun unklar, sagte Ryklin. In den russischen Medien wurde die Polizeiaktion in dem Haus in der Bolschoj-Palaschewskij-Gasse im Zentrum Moskaus zunächst totgeschwiegen. Die Miliz war zunächst nicht zu einer Stellungnahme zu erreichen.
„Vorwand zum mundtot Machen“
Ryklin sagte, er habe nur vage Informationen über die Hintergründe der Aktion: „Nach meinen Informationen geht es um Wirtschaftsstreitigkeiten. Die wurden in der Vergangenheit immer als Vorwand genutzt, wenn man unabhängige Medien mundtot machen wollte.“ Laut Ryklin ist der Vermieter der Redaktionsräume der Ölkonzern Yukos. Nachdem dessen früherer Chef, der Putin-Intimfeind Michail Chodorkowskij, 2005 zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt worden war, haben heute kremlnahe Firmen die Kontrolle über Yukos übernommen. Sie wollten die kritischen Mieter loswerden.
„Es hat allerdings auch mit der neuen Yukos-Führung Gespräche über eine Fortsetzung des Mietvertrages für das Gebäude gegeben“, sagte Wladimir Ruwinskij, Chef vom Dienst von „newsru.com“, zu FOCUS Online: „Insofern kann ich die Polizeiaktion nicht verstehen“. Yukos war zu einer Stellungnahme nicht zu erreichen.
„Übles Neujahrsgeschenk“
Nachdem die Beamten zunächst jedermann den Zutritt und das Verlassen des Gebäudes untersagt hatten, dürften Mitarbeiter die Polizeisperren inzwischen wieder passieren, berichtete Ruwinskij: „Für heute ist unser Betrieb sichergestellt, wie es morgen weiter geht, weiß ich nicht.“ Die Miliz habe aber keine Gewalt angewendet, und Hinweise auf politische Hintergründe für die Aktion gebe es nicht, sagte Ruwinskij. Deshalb habe die Redaktion auch nicht über die Miliz-Aktion im eigenen Haus berichtet.
„Ich stehe immer noch etwas unter Schock. Ab morgen werde ich jetzt Zuhause am PC arbeiten, wie meine Zukunft aussieht ist unklar“, klagte eine der betroffenen Redakteurinnen, die anonym bleiben möchte: „Dieser Überfall ist ein übles Neujahrsgeschenk der Behörden.“
Der russische Auslands-Sender „RTVI“ und die kritischen Internet-Seiten „Eschednjewnij Journal“ , „newsru.com“, „inopressa.ru“,
werden zum Rest-Imperium des Putin-kritischen Medienunternehmers Wladimir Gussinski gezählt.
Erpressung im Knast
Im Jahr 2001 hatten im Moskauer Fernsehzentrum Ostankino im Frühjahr 2001 bewaffnete Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes in Geheimdienstmanier die Studios von Gussinskis landesweitem Sender NTW gestürmt. Gussinski, wurde damals nach eigenen Angaben in russischer Haft erpresst: Er solle die wesentlichen Teile seines Medien-Imperiums an den kremlnahen Konzern Gazprom verkaufen oder, so wörtlich, „weiter im Gefängnis schmoren“. Gussinski gab nach eigenen Angaben nach, kam auf freien Fuß und lebt heute im Exil in Israel.