Rund eine halbe Million Menschen sind in Berlin, Köln und Stuttgart gegen Sozialabbau und für einschneidende Korrekturen am rot-grünen Reformkurs auf die Straße gegangen.
In den drei Städten folgten jeweils Zehntausende dem Aufruf von Gewerkschaften und Sozialverbänden zu einem europaweiten Aktionstag unter dem Motto: „Aufstehn, damit es endlich besser wird!“ In der Hauptstadt bewegten sich nach Angaben der Polizei insgesamt 250 000 Menschen in einem Sternmarsch zur zentralen Kundgebung am Brandenburger Tor.
Der Aufmarsch in Berlin sei zunächst friedlich verlaufen, sagte ein Polizeisprecher. Nach Augenzeugenberichten wurde das Haus der Deutschen Wirtschaft aus einem der drei Demonstrationszüge heraus mit rund einem Dutzend Farbbeuteln attackiert. Steine seien aber keine geflogen, hieß es.
An dem Protest in Berlin beteiligte sich auch das globalisierungskritische Netzwerk Attac mit einer aufblasbaren fünf Meter großen „Managerfigur", die „Arbeitssklaven“ vor sich her treibt. Attac kritisierte die „derzeitige neoliberale Politik", die soziale Sicherheit vom Geldbeutel abhängig mache.
DGB-Chef Michael Sommer, Hauptredner der Berliner Kundgebung, marschierte an der Spitze eines der Züge. Er warf der Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder vor, sie lade die Krise auf den wirtschaftlich Schwächsten ab. Durch das Arbeitslosengeld II drohe Massenverarmung. Auch die Zumutbarkeitsregeln für Langzeitarbeitslose müssten dringend geändert werden.
In Stuttgart (150 000 Demonstranten)kritisierte Ver.di-Chef Frank Bsirske, was Schröder mit der Agenda 2010 mache, sei Politik gegen die Interessen der eigenen Stammwählerschaft. Es sei sozial nicht nur höchst einseitig in der Lastenverteilung, sondern dazu ökonomisch schädlich. „Die Agenda-Politik bietet nicht nur keine Lösung für die aktuellen wirtschaftspolitischen und sozialen Probleme. Sie ist selbst ein Teil des Problems", heißt es in Bsirskes Redemanuskript.
In Köln, wo rund 100 000 Menschen zu einem Demonstrationszug durch die Innenstadt aufbrachen, war ein zentraler Redner IG-Metall-Chef Jürgen Peters.
In dem DGB-Aufruf zum Aktionstag heißt es: „Nicht nur in Deutschland, überall in Europa singen marktradikale Politiker und Unternehmer das gleiche Lied: Die Löhne sind zu hoch, die Arbeitszeiten zu kurz.“ Die Gewerkschaften Europas nähmen aber eine Politik des sozialen Kahlschlags nicht länger hin. Neben den Aktionen in Deutschland waren Kundgebungen und Protestmärsche unter anderem auch in Rom, Paris, Brüssel, Bratislava und Ljubljana geplant.
FDP-Chef als Scharfmacher bezeichnet
Für scharfe Kritik der Gewerkschaften sorgte eine Äußerung des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle. „Viele Gewerkschaftsfunktionäre
sind keine Vertreter, sondern Verräter der Arbeitnehmerschaft und der Arbeitslosen, weil sie die Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft bekämpfen", sagte der FDP-Chef „Bild am Sonntag“.
Diese Funktionäre müssten durch betriebliche Bündnisse entmachtet werden. IG-Metall-Chef Jürgen Peters nannte Westerwelle im Deutschlandradio einen Scharfmacher, der glaube, sich mit dieser Kritik den Hardlinern im Arbeitgeberlager andienen zu können.