Das Muster war klar erkennbar: Mehrere verheerende und zeitgleich ausgeführte Anschläge versetzten die Öffentlichkeit eines Landes in Schrecken, das bisher als sicher galt. 41 unbeteiligte Menschen in der marokkanischen Wirtschaftshauptstadt Casablanca bezahlten den Terror mit dem Leben. Nach dem gleichen Muster hatten nicht einmal eine Woche zuvor islamistische Täter im saudischen Riad zugeschlagen und 34 Menschen getötet. Kurz darauf warnte die CIA vor Anschlägen in Malaysia und Kenia. Mit monströsen Mehrfachanschlägen meldet sich das Terrornetzwerk El Kaida zurück.
Ein Muster, das neu und alt zugleich ist: Wohlbekannt seit der "Mutter aller Anschläge" am 11. September 2001, als drei Flugzeuge zugleich wichtige Symbole amerikanischer Macht zerstörten. Neu ist die Taktik insofern, als die Zellen von El Kaida seit dieser Zeit zumeist einzelne Bomben zum Explodieren brachten - eine Anschlagsart die zwar genauso mörderisch, dafür aber weniger symbolträchtig ist. Experten sehen die Terror-Kader auf einem neuen Feldzug.
"Möglicherweise gibt es eine neue Generation von El-Kaida-Führern", glaubt der Grefrather Terrorexperte Rolf Tophoven. "Sie sind in Afghanistan ausgebildet und sie haben die alten Feindbilder in sich aufgenommen. Sie sind über die ganze Welt verstreut und daher schwer zu treffen."
Der Linzer Professor Friedrich Schneider, der sich mit Expertisen zur Finanzierung von El-Kaida international einen Namen gemacht hat, rechnet künftig wieder verstärkt mit großen Anschlägen in aller Welt: "Der Afghanistan-Krieg hat El Kaida weh getan, sie aber nicht ernstlich getroffen. Die Organisation ist voll aktionsfähig und das wollte sie mit den jüngsten Anschlägen auch zeigen."
Eine Einschätzung, die sich mit den jüngsten Warnungen des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz deckt. Bundesinnenminister Otto Schily, der die Untersuchungsergebnisse des Inlandsgeheimdienstes in der vergangenen Woche vorstellte, mahnte auch in Mitteleuropa erhöhte Wachsamkeit an.
Zudem verfügen die Terroristenjäger nun nicht mehr über den Vorteil, die Basen der Terroristen einigermaßen lokalisieren zu können. Zusätzlich zu ihrer neuen Aggressivität hat sich die Organisation nämlich aus Afghanistan weitgehend verabschiedet und sich dabei metastasenartig ausgebreitet. Das macht sie für kriegerische Aktionen praktisch unerreichbar: Anstelle von Afghanistan, so Schneider, würden die Kader nun einfach im anarchistischen Somalia ausgebildet. Bei der Finanzierung habe sich der Fokus vom Handel mit afghanischem Opium auf den Diamantenhandel verlagert, der vom Sudan aus geführt werde. Als Operationsbasen dienten Ägypten, Jemen und Lybien.
Die neue alte Strategie der Terroristen hat nach Schneiders Ansicht direkt mit dem Irak-Krieg zu tun: Der Aufstand in der arabischen Welt, auf den die Terroristen gehofft hatten, sei ausgeblieben. Nun sei das Ziel, die USA mit weiteren Anschlägen zu Reaktionen gegen andere arabische Staaten wie Iran und Syrien zu provozieren und damit endlich den "großen Aufstand" der Muslime in aller Welt herbeizuführen.
Und Osama bin Laden? Tatsache ist: Bin Laden ist seit über einem Jahr abgetaucht. Vermutlich im von paschtunischen Stämmen bewohnten Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan. Dennoch lanciert er fast regelmäßig neue Kriegsaufrufe. "Bin Laden ist nicht mehr der Kommandeur, höchstens noch der Impulsgeber", glaubt Tophoven. Angesichts der Masse derjenigen, die bereit sind im Terrorkrieg ihr Leben zu opfern, hat der Saudi jedoch keineswegs an Bedeutung eingebüßt. Beispiel Casablanca: Noch in seiner jüngsten Botschaft soll Bin Laden Marokko und Saudi-Arabien auf die schwarze Liste der von "Ketzern" regierten Länder gesetzt haben.
Ihr Kennzeichen: Sie stehen strategisch auf der Seite der USA. Im Falle Marokkos kommt, wie auch beim Anschlag in Tunesien im vergangenen Sommer eine gewisse Liberalität erschwerend hinzu. Friedrich Schneider sieht dies ähnlich: "El Kaida geht ganz einfach nach einer Liste der "bösen Länder" vor" - und die gibt nach wie vor der "Pate" Bin Laden heraus.
Einig sind sich Tophoven und Schneider vor allem in einem: Riad und Casablanca sind mit aller Wahrscheinlichkeit nur der Auftakt zu einer neuen Serie großer Anschläge auf so genannte "weiche Ziele". Einer Serie, die mit kriegerischen Aktionen gegen einzelne Länder kaum zu stoppen sein wird.
Quelle: t-online.de (Von Christian Kreutzer)