Bernd Rabehl: Rede bei den "Bogenhauser Gesprächen" über nationalrevolutionäre Ansätze 1968 und die heutige Lage der Deutschen, erschienen in "Junge Freiheit" 52-53/98

"Die nationale Frage spielte bereits in den sechziger Jahren eine Rolle bei der Konstituierung einer neuen Opposition. Sie war damals vor allem antiamerikanisch und antirussisch eingestimmt. So gesehen gehörten die "Nationalrevolutionäre" Dutschke und Rabehl zu keinem Zeitpunkt zur traditionellen Linken. Deren Denken war beeinflußt durch die russische Revolution und durch die realsozialistischen Experimente in der UdSSR und in der DDR. Zurückzufinden zu den nationalen Grundlagen von Sozialismus, Freiheit und Unabhängigkeit war ein Anliegen des antiautoritären Aufbruchs dieser Zeit.

Für Dutschke etwa war die Sowjetunion, die zwischen weltrevolutionären Aufbrüchen und despotischer Restauration verharrte, anfällig für eine innere Auflösung. In den Strudel einer derartigen Dynamik würde sofort die DDR mitgerissen werden, weshalb eine revolutionäre Linke immer auch gesamtdeutsche und nationalrevolutionäre Ziele verfolgen mußte. Dabei orientierte er sich an dem 17. Juni 1953 und an der Plattform dissidenter Marxisten um Wolfgang Harich im Herbst l956. Der Arbeiteraufstand wurde gesehen als ein Abschied der alten deutschen Arbeiterbewegung, die für die zukünftigen Revolutionäre folgende Botschaft hatte: den Absolutheitsanspruch der SED nicht anzuerkennen und auch nicht zu dulden, daß sowjetische Herrschafts- und Ausbeutungsformen installiert blieben im Osten.

Endlich zurückzufinden zur Solidarität, Offenheit, Freiheit, Rätedemokratie, Arbeiterkontrolle, zu einer Kultur von Verantwortung und Gerechtigkeit, schien Auftrag zu sein für einen neuen revolutionären Anfang. Nach dieser Sichtweise wurde auch Harich interpretiert. Die Intelligenz mußte diese Erbschaft der Arbeiterbewegung übernehmen. Sie war so etwas wie Übersetzer, Bewahrer und Verkünder und legte dadurch den Keim eines nationalrevolutionüren Aufbruchs.


Aus der sozialen Mitte kamen schon deshalb keinerlei Impulse, weil der Mittelstand durch die NS-Diktatur kompromittiert war, im Osten enteignet wurde und im Westen sich dem Diktat der Besatzungsmächte unterwarf. Er war fett und impotent. Nach dem Scheitern der Arbeiterbewegung lag die Last der Verantwortung auf den Schultern einer unabhängigen Intelligenz (...).


Dutschke war bemüht, eine derartige Opposition bündnisfähig zu machen mit konservativen und nationalen Gruppen. Er setzte deshalb bei der Konzipierung einer grünen und ökologischen Partei auf ein Bündniskonzept, das die Parteigänger des traditionellen Sozialismus aussparte. Die Kader von DKP und ML-Parteien sollten nicht mit einbezogen werden in den Aufbau einer neuen Opposition, weil sie entweder im Auftrage von MfS und SED handelten oder auf die Prinzipien von Kadersystem und Erziehungsdiktatur fixiert waren.

Die jugendlichen Mitläufer und Sympathisanten dieser Parteien waren willkommen, teilzuhaben an dem Konzept des neuen Bündnisses.
Um einen Ausgleich zu den links eingestimmten Exponenten einer grünen Partei zu schaffen, dachte Dutschke daran, auf die konservativen Kreise von CDU/CSU um Gruhl, die Aktionsgemeinschaft unabhängiges Deutschland (AUD), Burschenschaften und konservative Zirkel und Bürgergruppen zuzugehen. Ihn interessierten dabei die konservativen Tugenden von Verlässlichkeit, Aufrichtigkeit, Verantwortung, aber auch die tiefe Verbundenheit zu Natur und Heimat (...).

Für Dutschke bestand kein Zweifel, dass die Radikalopposition eine grundlegende Niederlage erfahren hatte, unter anderem auch deshalb, weil nationalrevolutionäre Ziele aufgegeben worden waren (...).

So wie es keine Klassen- und Arbeiterkultur mehr gibt, so existiert in Deutschland kaum noch eine nationale Identität. Schon aus diesen Gründen scheiterte jede politische Konzeption, die sich auf die nationale Frage berief. Deutschland ist heute "offener Raum", der sich prägen läßt von außen und der Politik nur als Marketing oder Inszenierung erträgt. Deshalb dominiert das Bild von der multikulturellen Gemeinschaft der Nationen, Völker, Religionen und Kulturen, ein Reklamespot, denn real existieren derartige Gemeinsamkeiten nirgendwo auf der Welt, weder in Kapstadt, New York, Peking, Moskau oder Rio de Janeiro (...).


Der Schuldpranger der deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg soll alle kommenden Verbrechen überdecken, und ein Volk ohne Kultur kann zu allem verleitet werden, zumal es von "Eliten" beherrscht wird, die von "außen" geprägt werden und keine innere Verantwortung tragen.
Dort, wo Völker keinerlei Kultur oder Identität mehr besitzen, ist keine Entscheidung zum Kurswechsel möglich.

Agonie und Anomie sind angesagt. So gesehen haben die Fremden, die nach Deutschland fliehen, sogar recht, sich nicht anzupassen, denn um selbst nicht zu verschwinden in Dekadenz und Lethargie, wird es notwendig sein, die eigene politische Identität zu pflegen und sich vorzubereiten auf die Kriege im eigenen Land."

Prof. Dr. Bernd Rabehl, 60, war ein enger Weggefährte Rudi Dutschkes und gehörte zu den führenden Köpfen im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Heute lehrt der Soziologe am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin