Das europäische Bild der türkischen Kultur und seine Wurzeln
Das Bild der Türkei und der Türken ist in Europa besonders stark durch die Geschichte des Osmanischen Reiches geprägt worden. Dieses türkische Reich war vielen europäischen Staaten bis zum Beginn seines Untergangs weit überlegen. Außerdem sahen die europäischen allesamt christlichen Staaten eine Bedrohung durch den Islam. Diese Einstellung gegenüber den Türken wurde durch die Eroberungen von europäischen Gebieten so verstärkt, dass es eine kollektive Angst vor dem Türkentum gab. Dadurch entstand ein allgemein negatives Bild, das außerdem auch im alltäglichen Leben eine Rolle spielte. Ein Beispiel dafür ist, dass in sehr früher Zeit als erzieherisches Druckmittel für Kinder nicht selten Aussprüche wie „wenn ihr nicht artig seit schnappen euch die Türken“ angewandt wurden. Aber auch in der jüngsten Zeit basieren Definitionen über die türkische Kultur oft auf falschen oder durch die Vergangenheit geprägten Bildern. Zusätzlich wird auch nicht genügend über die türkische Kultur informiert. In den meisten Geschichtsbüchern wird außerdem – wenn überhaupt – nur über die kriegerischen Merkmale der Osmanen berichtet. Die türkische Kultur ist dem breiten Publikum deshalb unbekannt, weil es sich nicht dafür interessiert. Dies ist jedoch eigentlich nicht anklagenswert, weil die Auseinandersetzung mit einem anderen Land und den dort lebenden Menschen viel Arbeit mit sich bringt. Doch nun stelle ich die Frage, ob die Menschen, die sich beispielsweise gegen den EU-Beitritt der Türkei aussprechen oder noch allgemeiner ausgedrückt, die die Türkei als unterentwickelten und den geographisch in Zentraleuropa liegenden Staaten als nicht gleichgestellten Staat ansehen, wirklich genügend Wissen und Informationen besitzen um eine kompetente Aussage zu machen. Dies ist nämlich der eigentliche Punkt. Wenn man sich mit der türkischen Kultur auseinandersetzt, wird einem schnell klar, dass sie sich aus vielen verschiedenen Elementen zusammensetzt und dadurch erst den Menschen das lebensfrohe und farbenprächtige Leben ermöglicht. Dies ist jedoch nicht nur ein einzigartiges Phänomen der türkischen Kultur. Dies trifft genauso auf die deutsche oder französische Kultur zu. Diese Aufzählung könnte natürlich beliebig fortgeführt werden. Schon alleine durch bloßes, logisches Nachdenken wird einem intelligenten Menschen klar, dass sich die verschiedenen Kulturen nicht in einer isolierten Umgebung entwickelt haben können, sondern sich ständig gegenseitig beeinflusst haben. Manchmal mehr und manchmal weniger. Die Annahme, dass die türkische oder insgesamt orientalische Kultur nicht mit den Kulturen anderer europäischer Staaten vereinbar oder sozusagen kompatibel sei, ist somit falsch. Außerdem widersprechen sich viele Gegner eines EU-Beitritts der Türkei die sich auf solche Argumente stützen wahrscheinlich auch noch selbst. Weil sie einerseits mit Parolen wie „Alle Menschen sind gleich“ oder „Alle Menschen haben denselben Ursprung“ ihre scheinheilige Moral zeigen aber andererseits ein Land aus einer wirtschaftlichen und politischen Union heraushalten wollen, das angeblich eine grundverschiedene Kultur und Moralvorstellung hat. In Fragestellen könnte man demnach auch, ob beispielsweise Bulgarien und Spanien kulturell zueinander „passen“. Doch bei den Aufnahmevorbereitungen für Bulgarien und Rumänien wurde nie nach kulturellen Unterschieden gefragt. Die Gegner eines türkischen EU-Beitritts berufen sich auch häufig auf nicht vorhandene Parallelen der türkischen Geschichte und der anderer Staaten Europas. Hier werden vor allem die revolutionären Bewegungen im 18. und 19.Jahrhundert, beispielsweise die Französische Revolution genannt. Doch auch zu Zeiten des Osmanischen Reiches gab es ähnliche Ansätze. Hier könnten vor allem die, nachdem Griechenland im Jahre 1830 unabhängig wurde aufkommenden Tanzimat-Reformen genannt werden. Diese Reformen gingen zwar nicht vom Volk aus, und sind bei weitem nicht mit der Französischen Revolution vergleichbar, doch zeigten diese schon Ansätze für die später erfolgte Wandlung des Osmanischen Reiches. Natürlich haben manche Kritiker auch Recht, wenn sie anführen, dass der Demokratisierungsprozess vieler Staaten in Europa sich über viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte entwickelt hat und im Osmanischen Reich dies nicht der Fall war, doch dies ist kein Hinderungsgrund für einen Beitritt. Auch wenn die Tanzimat-Ära nicht mit einer Revolution vergleichbar war, so war die Staatsgründung aus den Überbleibseln des Osmanischen Reiches dies umso mehr. Die durch Atatürk erfolgten erfolgreichen Reformen haben die Türkei an Europa geschlossen und auch an die Wertevorstellungen anderer europäischer Staaten herangeführt, beziehungsweise angeglichen. Die Argumente verschiedener europäischer Politiker, die eine negative Haltung gegenüber einem türkischen Beitritt zur EU haben, da sie kulturelle Unterschiede sehen kann nicht auf Fakten gestützt werden, da sich die osmanische Oberschicht der Bevölkerung bereits im 17.Jahrhundert dem Westen geöffnet hat, sich die Politik des Osmanischen Reichs schon viel früher durch Bündnissysteme mit Europa verband und auch der restliche Teil der türkischen Bevölkerung sich durch die Reformen Atatürks zum Westen hin orientierte. Da Atatürk von der ganzen Bevölkerung unterstützt wurde, gibt es auch eine sehr tiefe Identifikation mit Europa. Die Argumente von Kritikern eines türkischen EU-Beitritts, die die Türkei geographisch nicht als Teil Europas anerkennen, obwohl ein kleiner Teil zu Europa gehört und dies auch kein wesentlicher Hinderungsgrund sein kann, werden außerdem dadurch abgeschwächt, weil die Wurzeln der europäischen Kultur im Orient liegen. Außerdem wurde durch die Ratifizierung des Vertrages von Ankara am 12.September 1963 bereits ein wichtiger Schritt getan, durch den die Türkei grundsätzlich als europäisch anerkannt wurde.