Antisemitismus,
die Abneigung oder Feindseligkeit gegen Juden. Der Ausdruck A. ist eine Fehlbildung, weil er die durch sprachl. Gemeinsamkeiten verbundene Gruppe der Semiten fälschlich zu einer volklichen Gemeinschaft ummünzt. Antisemiten sind aber in Wirklichkeit Gegner der Juden, nicht auch der übrigen Angehörigen der semit. Sprachgruppe, z.B. der Araber.
Ideologisch begründet und systematisiert wurde der A. in der Zeit des erwachenden Nationalismus des 19. Jh., der gleichzeitigen jüd. Emanzipation und der zunehmenden ostjüd. Einwanderung, verschärft und in seiner immoral. Konsequenz deutlich in der rassist. Ideologie des Nationalsozialimus. Als Reaktion auf den A. können der Philosemitismus und der Zionismus verstanden werden. Dem letzteren antwortete der polit. Anti-Zionismus der Neuzeit, der z.T. Anklänge an den A. zeigt.
Als Gründe für den oft nicht rational zu erhellenden A. sind angebliche Eigenschaften der Juden angeführt worden, z.B. besonderer Intellektualität, Wirtschaftspraktiken, körperl. Chrakteristika oder Sitten. Tatsächlich haben sich alle diese Theorien als nicht haltbar erwiesen. Es wurde auch die Frage aufgeworfen, ob sich der A. etwa zwangsläufig daraus ergebe, dass Juden als Minderheit unter Völkern leben, in denen vollkommen aufzugehen sie nicht bereit sind. Danach wäre der A. nur ein, wenn auch bes. komplexer Fall des allgemeinen Problems religiöser, nationaler, kultureller o.a. Minderheiten (>Sündenbock<-Funktion).
Die religiösen Motive des A. sind von der jüd. Theologie der Auserwählung des Volkes Israel und der Nichtannahme des christl. Messias begünstigt worden; deshalb blieb auch das Christentum nicht von antisemit. Strömungen frei. Versuche der Kriche, den A. zu überwinden (schon im 6. Jh. gewährte der Papst Gregor I. freie Religionsausübung) wechselten mit religiösem Fanatismus, etwa zur Zeit der Kreuzzüge (Rache an Israel >für das Blut Christi<), bes. ausdrücklich im Vorwurf des Ritualmordes und der Vergiftung der Brunnen. Mit dem 2. Vatikan. Konzil distanzierte sich die Kath. Kirche 1965 eindeutig vom A.
Ein anderes Motiv des A. wird im besonderen wirtschaftl. Erfolg der Juden, bes. im Entstehen des Kapitalimus gesehen. Diese Erscheinung lässt sich aber einmal als allgem. Phänomen nicht durchgehend nachweisen. Zum anderen beruht die Tatsache, dass zahlreiche Banken in jüd. Händen waren, nicht zuletzt darauf, dass im MA. den Juden versch. Berufe und der Erwerb von Grundbesitz verboten, das Zinsnehmen hingegen erlaubt, den Christen aber untersagt war.
Der ideolog. A. geht bes. auf die unhaltbare Lehre von der unterschiedl. Wertigkeit der Rassen zurück. Literarisch wurde er vor allem vertreten durch E. Renan, A. de Gobineau und H. S. Chamberlain. Auch die Schrift R. Wagners >Das Judentum in der Musik< wies auf das >rassisch andersgeartete< jüd. Wesen hin. H. Wagner, A. R. Hartmann, J. F. Fries, H. E. G. Paulus, E. Dühring, P. de Lagarde, J. Langbehn und E Drumont sind zu den geistigen Vätern des A. zu rechnen. Besondere Wirksamkeit entfaltete Th. Fritsch mit seinem >Antisemitenkatechismus< (1887), der als >Handbuch der Judenfrage< bis 1940 40 Auflagen erreichte. Der Hofprädiger A. Stöcker trat in Dtl. mit antisemit. Forderungen hervor, in Österreich u. a. K. Lueger und G. v. Schönerer. Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und ihren polit. und sozialen Folgen nahm der A. in Dtl. in rechtsradikalen Kreisen an Schärfe zu (namentlich E. Ludendorff und seine zweite Frau Mathilde). Auf diesem Boden wuchsen die rassist. Vorstellungen des Nationalsozialimus. Hitler selbst bezeichnete den A. als >Zement< der NS-Bewegung. A. Rosenberg legte eine erwiesene Fälschung (>Die Protokolle der Weisen von Zion<) als Dokument zum Beweis einer >jüd. Weltverschwörung< vor. In mehreren diskriminierenden Gesetzen wurde der A. im nat.-soz. Dtl. staatspolitisch wirksam und mündete in die systemat. Ausrottung der Juden im nat.-soz. Machtbereich (>Endlösung<) . Die Dezimierung des jüd. Volkes führte zu einer weltweiten Ächtung des A. In der BRD verletzen antisemit. Handlungen und Äußerungen das GG und werden strafrechtlich verfolgt. Trotzdem ist A. in vielen Ländern, z.T. mit dem Anti-Zionismus verbunden, noch spürbar.