SS-Offiziere müssen sich in Italien verantworten
Mord an 560 Einwohnern von Sant’Anna di Stazzema am 12. August 1944 kommt jetzt vor Gericht
Von unserer Korrespondentin
Ruth Pfriem
Rom. Sant’Anna di Stazzema ist auch heute noch ein kleines Dorf. Kaum 400 Einwohner leben dort. Es ist nur ihrer Hartnäckigkeit zu verdanken, dass jetzt diejenigen Personen vor einem italienischen Gericht stehen werden, die verantwortlich sind für den Tod von 560 Einwohnern des Dorfes an der Grenze zwischen Toskana und Ligurien.
Es war am 12. August 1944. Vier Kolonnen der SS, etwa 400 Mann stark, waren auf der Flucht vor den Alliierten und hinterließen verbrannte Erde. Die Militärs hatten das Dorf mit Maschinengewehrposten eingekreist. Die Dorfbewohner wurden aus den Häusern getrieben. Auf der Dorfstraße wurden sie von den Salven aus den Maschinengewehren getroffen. Diejenigen, die sich in die Häuser retten wollten, verbrannten: Die Soldaten hatten das Dorf inzwischen angezündet. Die wenigen Überlebenden berichteten von der unglaublichen Grausamkeit dieses Blutbades, das in der Kriegsgeschichte Italiens seines gleichen sucht. 137 Opfer konnten nicht mehr identifiziert werden. Über 150 Kinder waren unter den Opfern, darunter Anna, 20 Tage alt.
Bekannt war dieses Kriegsverbrechen immer. 1947 waren die Dossiers fertig. Der Militärstaatsanwalt hatte damals die Anklagepunkte formuliert: Gewaltanwendung mit Mord, Massenmord, Brandstiftung und Zerstörung. Und es lagen Namen vor, deutsche und italienische. Dann waren die Akten lange Zeit verschwunden. Seit 1995 lagen sie wieder bei der Staatsanwaltschaft von La Spezia, ohne dass etwas passiert wäre. Die Bürger von Sant‘Anna gründeten ein Komitee, das Augenzeugenberichte sammelte. Zwei Journalisten, darunter eine deutsche, unterstützten sie dabei.
1997 dann ein historisches Ereignis. Der damalige Gesandte der deutschen Botschaft in Rom, Gerd Pflückebaum, kam nach Sant‘Anna. Er sprach zu der Dorfversammlung. „Deutsche haben vor 57 Jahren unendliches Leid in Ihre Gemeinde gebracht. Ich trauere heute mit Ihnen um die Frauen und Männer, um die Mütter und Väter, um die Kinder, ja um ganze Familien, die ermordet wurden. Ich bitte Sie, die Überlebenden und Nachgeborenen, um Entschuldigung für diese im deutschen Namen begangenen Verbrechen.“
Dieses öffentliche Schuldbekenntnis weckte auch die militärische Staatsanwaltschaft in La Spezia auf. Die Ermittlungen wurden wieder aufgenommen und kamen gestern zu einem vorläufigen Ergebnis: Gerhard Sommer, Alfred Schönenberg und Ludwig Sonntag, alle drei SS-Offiziere, werden sich vor einem Militärgericht verantworten müssen. Gegen Heinrich Schendel wird weiter ermittelt, ebenso gegen Mathias Alfred Concina, der bisher lediglich Belastungszeuge war.
„Es war ein geplantes Massaker“, erklärte Staatsanwalt Marco De Paolis, „nicht lediglich ein Vergeltungsakt“. „Ein Verbrechen gegen die Menschheit“ war es für Staatsanwalt Gian Mario Roncitta, der als Nebenkläger die italienische Regierung in dem Prozess vertreten wird. Der Prozessbeginn wurde auf den 20. April festgelegt. Es ist fraglich, ob die über 80-Jährigen Angeklagten daran teilnehmen werden.