Hallo Baerlach,

ich stimme mit Dir weitestgehend überein.

Meines Erachtens ist die marxistische Theorie ungültig,

a.) weil sie empirisch unvollständig ist
b.) weil sie teilweise einfach empirisch falsch ist
c.) weil die metaphysischen Voraussetzungen - z.B. die Behauptung der strengen Prognostizierbarkeit historischer Entwicklung - ziemlich haltlos ist

Ob eine Theorie bereits deshalb ungültig ist, weil sie unvollständig ist oder nicht, ist vielleicht nur ein Streit um Worte. Man kann es so oder auch anders sehen - jedenfalls stimme ich Deinem Beispiel zu.

In jedem Fall sind unvollständige Theorien ungültig, wenn sie (selbstbezüglich) ihre eigene Vollständigkeit und universelle Gültigkeit behaupten. Dies tun alle Ideologien, die von einem absoluten Wahrheitsanspruch ausgehen.

Wenn man allerdings mit einem überzeugten Marxisten diskutiert, wird der sagen: man müsse das nur etwas ergänzen oder modifizieren, dann komme schon das Richtige heraus. Er wird also behaupten, dass der KERNBESTAND seiner Theorie weiterhin Gültigkeit hat, selbst wenn bestimmte Details fehlen oder sogar falsch sind. - Im übrigen ist es legitim, eine Theorie zu vervollständigen und zu verbessern. - Die Frage ist nur: Was ist der Kernbestand der marxistischen Theorie, und ist sie verbesserungsfähig?

Ich persönlich halte die metaphysischen Behauptungen dieser Theorie für das eigentliche "Grundübel". Unbeweisbare metaphysische Behauptungen dienen nur einem Zweck, der "Immunisierung" einer empirisch haltlosen Theorie. Der sogenannte wissenschaftliche Materialismus behauptet ja, das Prinzip aller Dinge bereits gefunden zu haben. Mit einer gewissen Flexibilität kann ich dann Fakten so uminterpretieren, dass sie doch wieder in meine Theorie passen. Daher kann man einem Marxisten leider auch nicht mit empirischen Fakten kommen. - Ein wunderbares Beispiel ist die Religion: Wenn die Fakten nicht passen, dann werden sie passend uminterpretiert. Wenn beispielsweise einst Darwins Evolutionslehre nichts ins Bild passte, dann hat die katholische Kirche spätestens seit Teilhard eine ideologische Lösung gefunden, Darwins Lehre mit der eigenen Schöpfungsideologie zu vereinbaren. So ähnlich verfahren auch Marxisten.

Daher konzentriere ich mich lieber auf die ideologisch-philosophischen Voraussetzungen des Marxismus: z.B. auf die ziemlich unreflektierte Anwendung des Prinzips der Dialektik und auf den historischen Materialismus. Nichts davon ist beweisbar. Es lässt sich vielmehr zeigen, dass der Wahrheitsanspruch des Marxismus auf pseudowissenschaftlichen formalen Hülsen beruht.

Das Prinzip der Dialektik wurde im übrigen nicht von Hegel, sondern von Kant konzipiert. Kant hatte dabei ein fundamentales, im Grunde sehr einfaches Prinzip im Sinn, welches von Hegel lediglich adaptiert und in einer teilweise fruchtbaren, teilweise unsinnigen Weise verwendet wurde. Kant wäre es jedoch niemals in den Sinn gekommen, dieses formale Prinzip mit geschichtsphilosophischen Inhalten zu verbinden - denn die Inhalte sind eben nicht a priori beweisbar.

Also noch mal: wir stimmen überein. Die anthropologischen Grundlagen des Marxismus (die alle aus dem 19. Jh. stammen und durch die Forschung auf der ganzen Linie widerlegt sind) sind unhaltbar.

Allerdings finde ich es manchmal doch ein wenig simpel, nur darauf hinzuweisen, dass der Marxismus funktionierte, wenn der Mensch weniger egoistisch wäre. Da könnte ja einer auf die Idee kommen, uns genetisch zu selbstlosen Wesen umfunktionieren zu wollen. Der würde dann auch behaupten, damit sei das vom Marxismus prognostizierte Endstadium der Geschichte endlich erreicht. Ein erschreckender Gedanke.