Wenn man nichts vom sogenannten relativen Bellizismus weiß, dem Moltke anhing, interpretiert man dieses Zitat zwangsläufig völlig falsch. Dieser sieht den Krieg als unvermeidbar, aufoktroyiert an, als notweniges Übel, kann ihm aber positive Aspekte abgewinnen. Von einem Kriegwollen kann dabei jedoch keine Rede sein. (1)
Tatsächlich sah Moltke nach der Reichsgründung Positives und Gefahren durch die bisherigen Kriege: „Wir haben durch unsere glücklichen Kriege an Achtung überall, an Liebe nirgends gewonnen“ (2)
Er war sich klar, dass man Deutschland ob seiner starken Macht achtete, aber man müsse sich mit „Waffen schützen, damit es [das Erreichte] uns nicht wieder entrissen wird.“ (3)
Er sah also Gefahren für Deutschland und glaubte nur starke Waffen könnten es verteidigen. daher war er gegen die Abrüstung. Allerdings darf man nicht in den Fehler verfallen, zu glauben, dies wäre eine Kriegsvorbereitung. Aufgrund der aktuellen Lage meinte er nämlich, „daß unter solchen Umständen für uns Abrüstung Krieg ist, der Krieg, den wir gern vermeiden wollen“ (4)
Folgerichtig lehnte er auch die französische Aufrüstung nicht ab, sprach sich sogar gegen eine Forderung an Frankreich aus, diese einzustellen (5). Als diese Aufrüstung abgeschlossen war, glaubte Moltke übrigens nicht mehr daran, dass man einen erfolgreichen Präventivschlag gegen Frankreich unternehmen könne. (6)
Zudem begriff Moltke das Militär als eine Schule der Nation und glaubte, nur die Armee könne die Bürger moralisch festigen (7), denn er meinte, die größte „Gefahr aller Länder liegt jetzt wohl im Sozialismus“ (8), nicht in äußeren Feinden.
Ihm selbst aber schenkte man ihm kein Gehör, sein Gesetzentwurf zur Heeresstärkung wurde abgelehnt im Reichstag (9), wenig überraschend beim heftigen Widerstand der Sozialdemokraten. Interessanter ist da sein Zerwürfnis mit Bismarck.
Dieser hatte ihn schon 1881 kaltgestellt und der Generalquartiermeister von Waldersee übernahm mehr oder weniger öffentlich die Aufgaben Moltkes, der nur noch formal noch Generalstabschef war. Moltke hatte sich der Politik Bismarcks untergeordnet. (10)
Tatsächlich hatte er sich schon immer, auch auf dem Höhepunkt seiner Karriere kurz nach dem Dt-Fr-Krieg, dem Primat der Politik letztlich untergeordnet (11)
Interessant auch eine seiner letzten Reden vor dem Reichstag:
„Meine Herren, wenn der Krieg, der jetzt schon mehr als zehn Jahre wie ein Damoklesschwert über unseren Häuptern schwebt, wenn dieser Krieg zum Ausbruch kommt, so ist seine Dauer und sein Ende nicht abzusehen. Es sind die größten Mächte Europas, welche gerüstet wie nie zuvor, gegeneinander in den Kampf treten; keine derselben kann in einem oder in zwei Feldzügen so vollständig niedergeworfen werden, daß sie sich für überwunden erklärte, daß sie auf harte Bedingungen hin Frieden schließen müsste, daß sie sich nicht wieder aufrichten sollte, wenn auch erst nach Jahresfrist, um den Kampf zu erneuern.
Meine Herren, es kann ein Siebenjähriger, es kann ein Dreißigjähriger Krieg werden – und wehe dem, der Europa in Brand steckt, der zuerst die Lunte in das Pulverfaß schleudert“
- Moltke, 14.05.1890 (12)
Nicht allzu militaristisch, wenn der Krieg als ein Damoklesschwert beschrieben, die Erinnerung an den schrecklichen Dreißigjährigen Krieg beschworen und die Kriegsgefahr mit einem Pulverfass verglichen wird.
Klingt eher wie ein Appell an den Reichstag diplomatische Lösungen vorzuziehen. Und genauso wird es in der Fachliteratur auch gesehen.
Es bleibt vielleicht noch zu sagen, dass der Urenkel dieses „Gesindels“ von Moltke seinerzeit sogar dermaßen militaristisch war, dass er mit widerlichen Militärs wie Hans Oster gegen die deutsche, gewählte Regierung opponierte! Welch ekelhafte Erziehung mag so ein Mann genossen haben, in dieser Familie! (vorsicht: Sarkasmus; Helmuth James v. Molkte wurde 1945 von Freisler und dem Volksgerichtshof zum Tode verurteilt)
(1) vgl. Kunisch, J. (Hg.): Die Wiedergeburt des Krieges aus dem Geist der Revolution, Berlin 1999 zu den Ursprüngen des Bellizismus
(2) Hahn, L.: Fürst Bismarck, Bd.2, Berlin1878, S., zitiert nach Engelberg, E: Bismarck, Bd.2, München 1993, S.167
(3) ibid.
(4) Stadelmann, R.: Moltke und der Staat, Krefeld 1950, S.256
(5) vgl. Wolter, H.: Bismarcks Außenpolitik, Berlin 1984, S.183
(6) vgl. Fiedler, S.: Taktik und Strategie des Millionenheere, in: Heerwesen der Neuzeit, Bonn 1993, S.93f
(7) Engelberg, E: Bismarck, Bd.2, München 1993, S.165
(8) Helmert H./Schmiedel K.: Zur Kriegspolitik und Strategorie des preußischen Generalstabes 1870/71, in: Bartel H./Engelberg E. (Hg): Die großpreußsich-militaristische Reichsgründung, Bd.2, Berlin 1971, S.97
(9) vgl. Engelberg, E: Bismarck, Bd.2, München 1993, S.167f
(10) vgl. Stadelmann, R.: Moltke und der Staat, Krefeld 1950, S.316
(11) vgl. Fiedler, S.: Taktik und Strategie der Einigungskriege, in: in: Heerwesen der Neuzeit, Bonn 1993, S.277f.
(12) Moltke, H.K.B.: Gesammelte Schriften und Denkwürdigkeiten, Bd.7, S.139