Teil B
Doch während die Araber offener dafür geworden waren, die Formel Land für Frieden zu akzeptieren, zeigten sich die Israelis und die USA
unnachgiebiger. Die USA etwa hinderten die PLO fast zwanzig Jahre daran, am Friedensprozess unter US-Schirmherrschaft teilzunehmen, zum Teil, weil die PLO sich geweigert hatte, die Resolutionen
242 und
338 des
UN-Sicherheitsrats als Grundlage für Verhandlungen zu akzeptieren.
Die PLO lehnte diese Resolutionen indessen ursprünglich ab, weil diese die nationalen Rechte der Palästinenser nicht anerkannten. Eine vom UN-Sicherheitsrat vorgeschlagene Resolution, die sich abermals auf
242 und
338 berief, allerdings mit der Bedingung, dass auf der Westbank und im Gaza- Streifen ein palästinensischer Staat entstehe, unterstützten die PLO und verschiedene arabische Staaten stillschweigend - doch die USA legten 1976 ein Veto ein.
Als die Palästinenser 1988 die Resolutionen ohne Vorbedingungen als Basis für Friedensgespräche
formell akzeptiert hatten und fünf Jahre später endlich am Friedensprozess teilnehmen durften, ließen die USA diese Resolutionen als Grundlage für Friedensgespräche im Prinzip
fallen. Formell hatten die USA sie zwar nicht verworfen, aber sie forderten die arabischen Staaten auf - nachdem diese die Resolutionen akzeptiert hatten -, "flexibel" und offen für "neue Ideen" zu sein.
Die in den Resolutionen genannten
Sicherheitsgarantien wurden als Versprechen der benachbarten Staaten gedeutet, nicht anzugreifen, und man nahm an, dass eine Art Kombination von Waffenkontrollen, demilitarisierten Zonen, Frühwarnsystemen und internationalen Friedenstruppen diese Garantien durchsetzen sollten. Die Vereinigten Staaten und Israel haben diese Interpretation jedoch
erheblich ausgedehnt und bestehen nun darauf, dass die Resolution vor allem
gewisse Garantien für die physische Sicherheit eines jeden israelischen Bürgers verlange.
Tatsache ist, dass die Israelis und die US-Regierung argumentieren, Israel sei in keiner Weise verpflichtet, sich aus den besetzen Gebieten zurückzuziehen, solange die Anschläge von Selbstmordattentätern und anderen Terroristen nicht vollständig eingestellt worden sind.
Da die meisten Attentäter zu terroristischen Untergrundzellen gehören, die außerhalb der effektiven Kontrolle einer jeden Regierung (und insbesondere der unter israelischer Besatzung stehenden, handlungsunfähigen Palästinensischen Autorität) stehen, und den Friedensprozess ausdrücklich durch Gewalt sabotieren wollen, bedeutet das im Ergebnis, dass die Israelis sich nicht zum Rückzug verpflichtet fühlen müssen.
Dabei ist es paradoxer Weise die
Besatzung selbst, die für die Kampagne der Selbstmordattentate weitestgehend
ursächlich ist. Ebenso haben Israels
Versagen, sich an die
Resolutionen des
Sicherheitsrats zu halten und das Versäumnis der USA auf deren
Durchsetzung zu beharren, viele Palästinenser dazu verleitet,
friedliche Mittel zur Beilegung des Konflikts
aufzugeben.
Tatsächlich gibt es noch andere
Resolutionen des
Sicherheitsrats, welche die israelische Regierung unbestreitbar
verletzt. Darunter sind die
Resolutionen 446, 452 und
465:
Sie
verlangen von Israel, die Kolonisierung der besetzten Gebiete durch den Bau jüdischer Siedlungen zu
beenden. Nach der vierten Genfer Konvention sind die Siedlungen
illegal und es ist einer Besatzungsmacht
verboten, ihre Zivilbevölkerung auf Land
anzusiedeln, das sie
militärisch an sich gerissen hat.
Trotzdem haben die Regierungen Clinton und Bush erklärt, das Schicksal der Siedlungen müsse durch Verhandlungen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde bestimmt werden. Präsident Bill Clintons Friedensplan vom Dezember 2000 - ebenso wie der Plan des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak, den er im Juli desselben Jahres in Camp David vorgelegt hatte - hätten Israel gestattet, riesige Landstreifen der
besetzten Westbank zu
annektieren und dabei
80 Prozent der Siedler
aufzunehmen, obwohl jeder einzelne von ihnen eine Reihe von
UN-Sicherheitsratsresolutionen verletzt, indem er in diesen Siedlungen lebt.
In Anbetracht des Ungleichgewichts der Kräfte zwischen den Palästinensern und ihren israelischen Besatzern ist es nicht verwunderlich, dass Israel einen Rückzug aus diesen illegalen Siedlungen nicht nur verweigert, sondern deren Anzahl seit der Unterzeichnung der Osloer Vereinbarungen von 1993 sogar fast verdoppelt hat. Der Versuch, diese illegalen Siedlungen mit Hilfe der Pläne von Clinton und Barak Israel einzuverleiben, hätte die Westbank de facto in eine Reihe von unzusammenhängenden Kantonen aufgeteilt, die den zukünftigen palästinensischen "Staat" nicht überlebensfähig gemacht hätten. Arafat sah sich deshalb gezwungen, abzulehnen. Das Ergebnis ist die grausame Gewalt, die seither wütet.
Bezeichnenderweise untersagt
Artikel 7 der
UN-Sicherheitsratsresolution 465 allen Mitgliedsstaaten, Israels Kolonisationsvorstoß zu unterstützen. Bedenkt man, dass die Vereinigten Staaten den Bau der sogenannten "Umgehungsstraßen" und auch andere Infrastruktur, welche die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten verstärkt, zu einem großen Teil finanzieren, könnte man auch behaupten, dass die USA diese Resolution ebenfalls verletzen.
Eine weitere Kette von Resolutionen behandelt einen anderen Stolperstein im Friedensprozess: den Status Jerusalems. Israel verstößt zur Zeit gegen die
Resolutionen 262, 267, 476 und 478 des
UN-Sicherheitsrats.
Diese
fordern Israel dazu auf, die
Annektierung des arabischen Ost-Jerusalem und seiner Umgebung, die am Anfang des Krieges 1967 erobert worden sind,
aufzuheben und jegliche Aktivitäten zu
unterlassen, die darauf abzielen, den Status der Stadt zu verändern.
Artikel 5 der Resolution 478 ruft alle Mitgliedsstaaten der UN dazu auf, diese Entscheidung hinzunehmen. Doch die Vereinigten Staaten haben die israelische Oberhoheit über das gesamte größere Ost-Jerusalem durch eine Reihe exekutiver Anordnungen und Resolutionen des Kongresses während der vergangenen Dekade de facto anerkannt.
Andere Resolutionen, gegen die Israel derzeit
verstößt beinhalten die
UN-Sicherheitsratsresolution 478, die Israel dazu auffordert, seine
nuklearen Einrichtungen unter die Kontrolle der Internationalen
Atomenergie Agentur (IAEA) der UN zu stellen;
UN-Sicherheitsratsresolution 497, die von Israel verlangt, seine Entscheidung zurückzunehmen, auf den besetzten syrischen Golanhöhen sein eigenes lokales Recht einzuführen;
die
UN-Sicherheitsratsresolution 573 ruft Israel dazu auf, Entschädigungen für die menschlichen und materiellen Verluste seines Angriffes auf Tunesien im Jahr 1985 zu zahlen; oder die
Resolutionen 1402, 1403 und
1405, die von Israel
verlangen, sich aus den
besetzten palästinensischen Städten in der Westbank
zurückzuziehen.
Es gibt auch mehr als ein Dutzend gegenwärtig
nicht befolgter Resolutionen, die darauf drängen, Israel möge sich bezüglich der besetzten Gebiete an die
Vierte Genfer Konvention halten:
Ausweisungen und
Hinrichtungen von Palästinensern, die
Zerstörung palästinensischer Häuser und andere Formen kollektiver Bestrafung zu
beenden und die Gewalt von Siedlern gegen die palästinensische Bevölkerung
in Schach zu halten.
22 Jahren lang verstieß Israel gegen die
UN-Sicherheitsratsresolution 425 und gegen
neun Folgeresolutionen, die seinen
bedingungslosen Abzug aus
Südlibanon forderten. Sogar, als eine nennenswerte Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit einen solchen einseitigen Abzug in den späten neunziger Jahren unterstützte, erklärte der amerikanische Botschafter in Israel, Martin Indyk, gegenüber den israelischen Medien, die USA würden Israels fortgesetzte Besatzung sowieso unterstützen.
Als die radikale, libanesische Islamistengruppe
Hisbollah schließlich im Mai 2000 die Israelis aus dem Libanon vertrieb - sie mussten sich hastig zurückziehen -, schien das für viele Palästinenser
Beweis genug, dass es nutzlos sei, auf die
Resolutionen des
UN-Sicherheitsrats zu setzen.
Dagegen ließ der militärische Sieg der Hisbollah viele Palästinenser glauben, der einzige Weg, sich von der israelischen Kontrolle zu befreien, sei - wie es die Libanesen getan haben -, einen von einer extremistischen islamischen Bewegung angeführten militärischen Widerstand
aufrechtzuerhalten. In der Tat gibt es bei der gegenwärtigen Gewalt gegen Israel kaum Palästinenser, die den Libanon nicht als
Vorbild zitieren.
Aus zahlreichen Gründen - insbesondere, was den großen Unterschied in der israelischen Sichtweise hinsichtlich der Bedeutung der besetzten palästinensischen Gebiete im Vergleich zum Südlibanon angeht - ist das eine sehr unpassender Vergleich. Dennoch sind vor allem die USA mit ihren Bemühungen, Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zum Thema Israel und Libanon auszuhebeln, für diesen radikalen Umschwung in der palästinensischen Einstellung verantwortlich.
Nachdem die Palästinenser dem bewaffneten Kampf abgeschworen und in den 1993 unterzeichneten Abkommen von Oslo Israels Kontrolle über den Großteil Palästinas einseitig anerkannt hatten, blieben ihnen als einziges wirksames Instrument diese außerordentlichen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, die sich mit den Siedlungen, Jerusalem und anderen Angelegenheiten befassen. Die Palästinenser hatten angenommen, dass die Vereinigten Staaten als Garant der Prinzipienerklärung Israel später zu den nötigen Kompromissen drängen würden - auf der Basis der Resolutionen des UN-Sicherheitsrats, zu deren Aufrechterhaltung die Vereinigten Staaten als Mitglied des Sicherheitsrats verpflichtet gewesen wären.
Sowohl die Regierung Clinton als auch die gegenwärtige Regierung Bush stehen jedoch auf dem Standpunkt, die Vereinten Nationen hätten im israelisch-palästinensischen Konflikt keinen Einfluss mehr und begründen das mit den Osloer Vereinbarungen, die an die Stelle der UN-Resolutionen gerückt seien. Clintons damalige
Botschafterin bei den Vereinten Nationen,
Madeleine Albright, drückte das so aus:
"Resolutionssprache, die sich auf Angelegenheiten des 'Endstatus' bezieht, sollte nicht mehr benutzt werden, weil diese Themen nun von den Parteien selbst verhandelt werden. Dazu gehören die Flüchtlingsfrage, die Siedlungen, die territoriale Souveränität und der Status Jerusalems."
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