Ein Sommernachtstraum - Ruhrtriennale
Man sieht nur mit dem Mind gut
Zu ihrer dritten und letzten Ruhrtriennale schenkt die künstlerische Leiterin des Festivals sich und dem Publikum eine Shakespeare-Inszenierung, die den Klassiker neu glänzen lässt und triftige Brücken ins Heute schlägt.
Von Martin Krumbholz
11. August 2023
Zunächst einmal gibt die Bühne, die Martin Zehetgruber in den hintersten Winkel der gigantischen Kraftzentrale im Landschaftspark
Duisburg-Nord gebaut hat, einige Rätsel auf. Die Kraftzentrale an sich hat wenig von der kathedralenhaften Anmutung etwa der Maschinenhalle Zweckel, zudem ist es verdammt stickig. Wenn aber der Spielort außer schlechter Luft atmosphärisch wenig hergibt, muss das Bühnenbild um so mehr erzählen. Und das tut es.
Stück der Stunde
Ein horizontal in die Länge gezogener Wintergarten für den Anfang und den Schluss, die Szenen am Hof des Herzogs. Wenn sich dann die Drehbühne dreht, sieht man zuerst
zwei dürre Bäumchen und ein
Autowrack; wenn sie sich noch weiter dreht, wird klar:
Das Ganze spielt tatsächlich auf einem Autofriedhof mitten im Wald. Und schon sind wir drin in einer der Referenzebenen dieser Inszenierung: der klimapolitischen.
Titanias Monolog über die sich verändernden Jahreszeiten, an denen der hässliche Streit zwischen ihr, Titania, und dem Elfenfürsten
Oberon schuld sei, klingt, ist man einmal hellhörig geworden, verblüffend aktuell.
Barbara Frey, die Regisseurin, hat den "Sommernachtstraum" zum Stück der Stunde erklärt, und sieht man mal davon ab, dass es sicher das Stück so gut wie jeder Stunde ist, hat sie unbedingt recht. Vom
Klima bis zur
"Triggerwarnung" (Zettels Vorschlag, die Damen im herrschaftlichen Publikum in einem Prolog vor Schwertern und Löwengebrüll ausdrücklich in Schutz zu nehmen) ist so gut wie alles drin, was in gegenwärtigen Diskursen Rang und Namen hat.
Auch Travestien: nicht nur das Klima stellt sich auf den Kopf, die Geschlechter tun es auch.
Austauschbarkeit als kulturelles Leitbild
Doch was vor allem für diese Aufführung einnimmt, ist der Umstand, dass Frey die Figuren und ihre Konflikte ernstnimmt; nicht bitter ernst (es ist immerhin eine Komödie), aber ernst; das gilt für die sechs Handwerker und ihr dilettantisches Theaterspiel ebenso wie für die vier jungen Liebenden mit ihren mäandernden Amouren und die weltlichen und überweltlichen Fürsten.
Letztere sind überkreuz besetzt:
Hippolyta ist zugleich
Oberon, und Sylvie Rohrer spielt beide mit einer wunderbar eindringlichen, nie forcierten Emphase. Entsprechend ist
Theseus zugleich
Titania: Markus Scheumann hat nicht nur sehr lange Beine, obendrein hat man ihm eine hochtoupierte Frisur verpasst (Kostüme: Esther Geremus), so dass eine Art Zwei-Meter-Titania aus ihm wird, deren köstliche Drehungen und Windungen, wenn die Arme sich unsterblich in den Monster-Esel alias Zettel verknallt, allein schon den Abend wert sind.
Mit der Liebe geht Shakespeare ungnädig um, auch das gehört zu seinem Aktualitätsprogramm. Die sogenannte Liebe auf den ersten Blick? Ein böser Scherz, eine tödliche Falle. Gleich am Anfang wird
Helena (Lili Winderlich) von ihrem Liebsten verlassen, der hat es plötzlich mit
Hermia (Meike Droste). Und dann geht es hin und her, die
Austauschbarkeit als
kulturelles Leitbild. Die Liebe, räsoniert die verzweifelte Helena, urteile nicht mit dem Auge, sondern mit dem "mind" – aber was heißt das in diesem Kontext?
Geist, Gemüt, Seele, Vorurteil, Projektion? Der Wunsch als Vater des Gedankens? So ungefähr. Die serielle oder minimalistische Musik, manchmal wird nur ein einziger Klavierakkord permanent wiederholt, unterstützt das Suggestiv-Statische der Handlung perfekt.
Eifer als Lebensprogramm
So unglücklich wie
Helenas Liebe zu
Demetrius ist die der Handwerker zur Kunst. Oder sogar noch unglücklicher. Sie sind teilweise mit denselben Spielerinnen besetzt wie die jungen Liebespaare. Der "Sommernachtstraum", das sind ja eigentlich mehrere Stücke in einem, und die Doppelbesetzungen sorgen für eine geschmeidige Verzahnung der Ebenen.
Oliver Nägele ist der Oberhandwerker, Zettel hat immer die besten, also absurdesten Vorschläge, was die lustige Tragödie um
Pyramus und
Thisbe betrifft (deren Schicksal dem von Romeo und Julia verblüffend ähnelt). Aber Nägele gibt ihm eine fast übermenschliche Würde, nie verrät er den stupenden Eifer des weder schönen noch schlauen Mannes an irgendeine Karikatur. Der Eifer steht sozusagen als Lebensprogramm für sich selbst. Und Puck, Dorothee Hartinger: auch sie muss man unbedingt nennen. Sie ist ein melancholischer, nachdenklicher Puck, kein koboldhafter Überflieger.
Ausgezeichnet wird hier gesprochen (was offenbar Burgtheater-Standard ist, also danke, liebes Burgtheater). Werden in einer Shakespeare-Aufführung keine Sprachschlampereien begangen, kommt man plötzlich in den Genuss des Wortwitzes, des ganzen Sprachcharmes dieses unvergleichlichen Autors. Die Schärfe der Beobachtung und der Esprit des Ausdrucks – wer macht ihm das nach?
Ein Sommernachtstraum
von William Shakespeare
Regie: Barbara Frey,
Bühne: Martin Zehetgruber,
Mitarbeit Bühne: Stephanie Wagner,
Kostüme: Esther Geremus,
Musik: Josh Sneesby, Barbara Frey,
Dramaturgie: Andreas Karlaganis.
Mit: Markus Scheumann, Sylvie Rohrer, Gunther Eckes, Marie-Luise Stockinger, Langston Uibel, Lili Winderlich, Meike Droste, Dorothee Hartinger, Sabine Haupt, Oliver Nägele.
Dauer: 2 Stunden 20 Minuten, keine Pause
Koproduktion Burgtheater Wien/Ruhrtriennale
Premiere am 10. August 2023
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