Project Syndicate / Economics / 13.02.2023 / von Yu Yongding
Ein gutes Jahr fuer Chinas Wirtschaft
PEKING – Im
März 2022 gab die chinesische Regierung ein Wachstumsziel in Höhe von*
5-5.5%*des
BIP für das ganze Jahr vor. Seinerzeit schien Wachstum auf einem solchen Niveau durchaus erreichbar. Doch innerhalb eines Monats breitete sich die Omikron-Variante aus und führte zu strengen Lockdowns, die zwar die Ausbreitung des Coronavirus eindämmten, aber der Angebots- und Nachfrageseite der Wirtschaft schweren Schaden zufügten. Chinas
Wachstumsrate 2022 lag bei lediglich
3%.
Heute sieht es für Chinas Wirtschaft
wieder besser aus. Nach der raschen Abkehr der Regierung von ihrer Null-Covid-Politik im Dezember – und vor allem seit Mitte des letzten Monats – ist die Wirtschaft wieder in Schwung gekommen. Diese neue Vitalität war während des Neujahrsfestes Ende Januar zu beobachten, als mehr als
300 Millionen Chinesen zu ihren Familien in die Heimat reisten,
23% mehr als im Vorjahr.
Es gibt gute Gründe, im Jahr 2023 ein deutlich höheres Wachstum zu erwarten. Zunächst werden die gesamtwirtschaftlichen Zuwächse das niedrige Ausgangsniveau des Jahres 2022 widerspiegeln. Ausgehend von einem durchschnittlichen
BIP-Wachstum in Höhe von 4,8% in den Jahren 2019-22 lässt eine Überschlagsrechnung darauf schließen, dass China in der Lage sein sollte,
2023 ein BIP-Wachstum von rund
6% zu erzielen.
Zudem hat China noch reichlich
Spielraum für eine
expansive Geld- und
Fiskalpolitik. Im geldpolitischen Bereich besteht die Möglichkeit, sowohl die Mindestreserveanforderungen für Banken als auch die Leitzinsen, wie den Sieben-Tage-Reverse-Repo-Satz und die mittelfristige Kreditfazilität,
zu senken.
Was die Fiskalpolitik anbelangt, so gibt es weit verbreitete – und berechtigte – Sorgen über Chinas hohen Verschuldungsgrad. Doch die
Staatsschuldenquote der Regierung ist nach wie vor d
eutlich niedriger als in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften. Wenn man dann noch das
schnellere BIP-Wachstum und die
hohe Sparquote in China hinzunimmt, wird deutlich, dass Chinas Haushaltslage
viel besser ist als die der meisten Industrieländer.
Die Frage ist, wie die verfügbare politische Unterstützung ausgerichtet werden soll. Angesichts der düsteren globalen Aussichten ist nicht damit zu rechnen, dass die Exporte in diesem Jahr ein wichtiger Wachstumsmotor sein werden, auch wenn sie 2022 einen wichtigen Beitrag zum Wachstum geleistet haben. Die Verbrauchernachfrage kann das Wachstum stützen, wenn sie sich stark erholt: 2022 trugen die Konsumausgaben in China lediglich 32,8% zum BIP-Wachstum bei, obwohl sie rund 55% des BIP ausmachen. Die wahrscheinlichen Auswirkungen direkter Maßnahmen zur Ankurbelung der Verbrauchernachfrage bleiben jedoch unklar.
Zur
Förderung von
Investitionen wäre eine
expansive Fiskalpolitik sinnvoll. Während der Beitrag der Investitionen zum BIP-Wachstum seit 2010 deutlich zurückgegangen ist, waren sie im Jahr 2022 der Hauptmotor des Wachstums. Ja, die Immobilieninvestitionen gingen um
10% zurück. Doch Investitionen in das verarbeitende Gewerbe und in die Infrastruktur stiegen um
9,1% beziehungsweise
9,4%.
Das Beste, was sich China für den Immobiliensektor im Jahr 2023 erhoffen kann, ist eine
Stabilisierung der Investitionen, während die Investitionen im verarbeitenden Gewerbe hauptsächlich von den
Marktkräften im Zusammenhang mit der
industriellen und
technologischen Entwicklung bestimmt werden.
Infrastrukturinvestitionen verdienen jedoch
fiskalpolitische Unterstützung.
Einige Ökonomen behaupten, dass China ohnehin unter übermäßigen Infrastrukturinvestitionen leidet, wobei sie auf massive Verschwendung und Fehlinvestitionen verweisen. Sie haben zwar Recht damit, dass China ineffiziente Investitionen getätigt hat, doch der
Infrastrukturbedarf des Landes wurde
nicht gedeckt. So hat etwa die Pandemie die Schwächen der chinesischen Infrastruktur im Bereich der öffentlichen Gesundheit aufgezeigt. Chinas
Infrastrukturdefizit (pro Kopf) ist im Vergleich zu fortgeschrittenen Volkswirtschaften riesig.
Infrastrukturinvestitionen sind also nach wie vor
dringend erforderlich, sie müssen nur
gezielter eingesetzt werden.
Natürlich könnte ein weiteres unvorhergesehenes Ereignis wie die Pandemie Chinas Wachstumsbestrebungen im Jahr 2023 zunichtemachen. Ein wahrscheinlicheres Hemmnis ist ein
Anstieg der Inflation, wie er in vielen anderen Ländern der Welt zu beobachten ist.
In den vergangenen zehn Jahren war die Inflationsrate in China
sehr niedrig, und der Verbraucherpreisindex lag im Durchschnitt unter
2%. Doch die Pandemie hat Chinas Produktionskapazitäten einen schweren Schlag versetzt, und die Wiederherstellung der Lieferketten und die Beseitigung von Produktionsengpässen kann einige Zeit in Anspruch nehmen. Infolgedessen wird das Angebot möglicherweise nicht mit dem Nachfrageschub Schritt halten können, der mit der Öffnung der chinesischen Grenzen einhergeht. Das daraus resultierende Ungleichgewicht wird die Inflation in diesem Jahr zumindest eine Zeit lang steigen lassen.
Eine höhere Inflation wird die Fähigkeit der Regierung beeinträchtigen, eine expansive Fiskal- und Geldpolitik umzusetzen. Die Stabilisierung des Wachstums muss jedoch politische Priorität haben, so dass China möglicherweise eine Inflationsrate von mehr als
2-3% tolerieren muss. Das
richtige Gleichgewicht zwischen
Wachstum und
Preisstabilität zu finden, könnte sich in diesem Jahr als eine der
größten Herausforderungen für Chinas Regierung erweisen.
Eine fiskal- und geldpolitische Expansion kann Chinas strukturelle Probleme nicht lösen. Sie kann jedoch Raum schaffen, damit China das umfassende
Reformprogramm umsetzen kann, das auf dem
18. Nationalkongress der Kommunistischen Partei Chinas im Jahr
2012 beschlossen wurde. In diesem Programm wurde die Regierung aufgefordert,
„die Entwicklung des nicht-öffentlichen Sektors zu fördern, zu unterstützen und zu lenken“, „das System zum Schutz der Eigentumsrechte zu verbessern“, die Grundlage dafür zu schaffen, „dass der Markt eine fundamentale Rolle bei der Ressourcenallokation spielt“, „ein modernes Marktsystem einzurichten, in dem die Unternehmen unabhängig geführt werden und ein fairer Wettbewerb herrscht“ und „eine rechtsstaatliche und dienstleistungsorientierte Regierung aufzubauen“.
Die Regierung muss
schnell handeln, da ihr
Spielraum für
makroökonomische Expansion mit dem Anstieg der Verbraucherpreisinflation und anderen potenziellen Restriktionen schrumpfen könnte. Wenn die chinesische Führung die Fiskal- und Geldpolitik
optimal einsetzt und die Reformen und die Öffnung
unbeirrt fortsetzt, kann sie
sicherstellen, dass
2023 ein
sehr gutes Jahr wird.
Aus dem Englischen von Sandra Pontow
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