The Inquisitive Mind / Ausgabe 3-2015 (Auszug)
Erbschaften – Grund zur Freude oder eher ein Kreuz für Familien?
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Hinter dem Vererben verbirgt sich ein
psychologischer Mechanismus, der als
„Generativität“ (Erikson, 1988; siehe auch Ernst, 2008) bezeichnet wird. Dies bedeutet, dass Menschen in der Lebensmitte das
Bedürfnis entwickeln, die
eigenen Werte und
Normen an die
nachfolgende Generation weiterzugeben sowie
Fürsorge und
Verantwortung für diese zu
übernehmen.
Ausgelöst werde die
Generativität durch das
Bewusstwerden der
eigenen Endlichkeit, denn in dieser Lebensphase sterben die eigenen Eltern oder gleichaltrige Menschen im näheren Umfeld. Die
Angst vor dem eigenen Tod ist wohl die größte menschliche Angst überhaupt. Diese
Bedrohung löst das
Bestreben aus, etwas von sich auf dieser Welt
zu hinterlassen und sich auf irgendeine Weise
unsterblich zu machen.
Das Weitergeben gilt vorrangig den eigenen Kindern und Kindeskindern, kann sich aber auch an Personen der nachfolgenden Generation allgemein richten (z. B. durch die Übernahme einer Funktion als Mentorin oder Mentor im Beruf, das Gründen von Stiftungen).
Generative Akte werden als
befriedigend, erfüllend und
sinnstiftend erlebt.
Wer etwas für die Nachwelt tut, hat ein
höheres Wohlbefinden und
Selbstvertrauen im Alter. Die Weitergabe des Familieneigentums an die Nachkommen
verbindet die Generationen.
Auch die
Erbschaftsforschung hebt die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit als wichtigen Mechanismus hervor, der die Art der Verteilung von Erbgütern beeinflusst. In Anlehnung an die
„terror management theory“ (Rosenblatt, Greenberg, Solomon, Pyszczynski & Lyon, 1989) wird angenommen, dass Menschen im Angesicht des
Todes („Mortalitätssalienz“) ihren Glauben an eine
gerechte Welt („jeder erhält, was er verdient“) intensivieren als eine Art
Schutzmechanismus vor dieser Angst.
In der Folge neigen Menschen in dieser Situation dazu, ihre Werte und ihr Weltbild zu betonen. Dies wurde in zahlreichen
Experimenten nachgewiesen
(z. B. Bossong & Nussbeck, 2004). Daher
bevorzugen Erblasser/-innen jene Erben, die
ähnliche Anschauungen wie sie vertreten und benachteiligen jene, die davon
abweichen. So wird zum Beispiel der Sohn als Haupterbe eingesetzt, von dem sich die Eltern versprechen, dass er die Firma in ihrem Sinne weiterführt, während der andere Sohn das Nachsehen hat, der einen Beruf ergriffen hat, den die Eltern
nicht gutheißen.
Vielen Eltern ist daran gelegen, dass ihren Kindern etwas bleibt, um sie
abzusichern. Andere dagegen sparen ihr Geld, um für das höhere Alter vorzusorgen
(„sensible Eichhörnchen“) oder lassen es sich im Alter so richtig gut gehen und verprassen ihr Geld für Reisen oder Konsumgüter
(„eigennützige Selbstbediener“), wie eine aktuelle australische Studie zeigt
(Lawrence & Goodnow, 2011).
Die
Motive der Erblasser/-innen sind äußerst unterschiedlich und vielschichtig, und ihnen auch
nicht immer bewusst
(Jonas & Jonas, 2013). Das Erbe wird unter den Empfängern/-innen nach verschiedenen Kriterien aufgeteilt, wobei aus
evolutionstheoretischer Sicht
zwei Hauptprinzipien zum Tragen kommen:
Gleichbehandlung von Verwandten vs. Gleichheitsabstimmung nach Gegenseitigkeit (Euler, 2007):
Beim Prinzip der
Gleichbehandlung von Verwandten
(formale Gerechtigkeit), wird das Erbe gemeinschaftlich geteilt, in
Abhängigkeit vom Verwandtschaftsgrad. Eltern stellen ihre Kinder gleich, unabhängig davon, was diese für die Eltern getan haben. Dieses Vorgehen entspricht der gesetzlichen Erbfolge im deutschen Rechtssystem. Es gilt als
einfachste Lösung und soll der
Konfliktvermeidung dienen.
Demgegenüber sieht das
Prinzip der Gleichheitsabstimmung nach Gegenseitigkeit eine Aufteilung nach den
persönlichen Verdiensten der Erben vor, unabhängig vom Verwandtschaftsgrad vor, das heißt welche Gegenleistungen (z. B. Pflege) erbracht wurden. Dabei kann es passieren, dass Kinder, die sich nicht groß für ihre Eltern engagiert haben, weitgehend enterbt werden. Da Verdienste sehr subjektiv bewertet und häufig kontrovers gesehen werden, schürt diese Aufteilung häufig
Streitigkeiten unter den Kindern.
Die in Familien übliche besondere emotionale Solidarität ist mit einem finanziellen Aufrechnen grundsätzlich schwer zu vereinbaren. Ein
drittes Kriterium ist die
Bedürftigkeit einzelner Kinder, das heißt Eltern neigen dazu, besonders bedürftige Kinder (infolge von Scheidung, Krankheit oder Arbeitslosigkeit) großzügiger zu bedenken als finanziell besser gestellte Kinder. Dahinter verbirgt sich die durchaus
positive Absicht diese
abzusichern und einen
finanziellen Ausgleich unter den Kindern schaffen zu wollen. Auf Seiten der Kinder führt dieses Prinzip jedoch zu Eifersuchtsgefühlen und Neid. Erschwerend kommt hinzu, dass die bereits verstorbenen Eltern sich
nicht mehr
rechtfertigen können.
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