FAZ / 24.08.2022
Elf Jahre nach Fukushima
Japan plant neue Atomkraftwerke
Während Deutschland über längere Laufzeiten diskutiert, plant Japan den Bau neuer Kernkraftwerke. Die Regierung sieht darin einen Beitrag gegen den Klimawandel. Elf Jahre nach der
dreifachen Kernschmelze im Atomkraftwerk
Fukushima Daiichi plant*Japan*den Bau neuer Kernkraftwerke neuester Technik. Die Regierung will zugleich zügig noch mehr der ruhenden Kernkraftwerke ans Netz bringen, um Engpässe in der Energieversorgung möglichst zu vermeiden.
Ministerpräsident*Fumio Kishida*reagiert damit nicht nur auf Energieknappheiten als Folge des westlichen Boykotts von russischem Öl und Gas. Der Schwenk in der Energiepolitik ist vor allem Teil der Bemühungen Japans, den Ausstoß an Kohlendioxid im Kampf gegen die Erderwärmung weiter zu reduzieren. Entsprechende Pläne des Industrieministeriums zum Ausbau des Atomstroms wurden am Mittwoch in Tokio in einer Ausschusssitzung im Ministerpräsidentenamt diskutiert. Die Regierung will einen entsprechenden Plan bis Ende des Jahres beschließen. Kishida steht den Ideen positiv gegenüber. Er hat schon bislang immer wieder betont, dass Japan in der Energieversorgung alle verfügbaren Techniken nutzen müsse.
Derzeit sind 10 von 33 Reaktoren in Japan zugelassen und im Grundsatz am Netz. Die Regierung will bis zum kommenden Sommer weitere sieben Reaktoren sicherheitstechnisch ertüchtigt wieder am Laufen haben. Erwogen wird auch, die Laufzeit von Reaktoren von 40 ab 60 Jahren heraufzusetzen.
Das Vorhaben, mehr Atomkraft setzen, findet in der Wirtschaft ein positives Echo. Der mächtige Wirtschaftsverband Keidanren hält es für unabdingbar, dass Japan mehr Atomkraft nutzt, weil es bis 2050 das Ziel der Kohlenstoffneutralität erreichen möchte. Nach den Berechnungen des Keidanren braucht Japan 27*Atomkraftwerke*am Netz bis 2030 und 40 Atomkraftwerke bis 2050, um das Umweltziel zu erreichen.
Auch in der Bevölkerung, die nach der Kernschmelze in*Fukushima*Daiichi die Atomkraft überwiegend ablehnte, scheint angesichts der Russland-Ukraine-Krise und steigender Energiepreise ein Umdenken einzusetzen. Vor kurzem gab es eine erste Umfrage, in der die Mehrheit der Japaner sich für eine stärkere Nutzung der Atomkraft aussprach.
Mit dem neuen Plan der Regierung wäre es das erste Mal, dass Japan sich seit dem Atomunfall in Fukushima Daiichi eindeutig zum Bau neuer Kernkraftwerke bekennt. Am 9. März 2011 hatte ein gewaltiger Tsunami in dem Kernkraftwerk im Nordosten Japans die Notstromversorgung durch Dieselaggregate zerstört. In der Folge kam es in dem Kraftwerk seiner dreifachen Kernschmelze und es wurden rund 160.000 Menschen evakuiert. Einige Zehntausende können auch heute noch nicht in ihre Heimat zurückkehren, manche werden es nie mehr.
Japan hatte nach dem Unfall zunächst alle Atomkraftwerke abgeschaltet, um sie unter verschärften Sicherheitsvorschriften neu zuzulassen. Das Land ließ aber nie einen Zweifel daran , dass es an der Atomkraft festhalten wolle, wenn auch in weit geringerem Maße als vor dem Unfall geplant.
Nach dem aktuellen Plan strebt das rohstoffarme Land bis zum Jahr 2030 einen Nuklearstromanteil von 20 bis 22 Prozent an. Fachleute wiesen in den vergangenen Jahren immer wieder darauf hin, dass dieser Plan einen Neubau von Atomkraftwerken und die Verlängerung der Laufzeiten bestehender Kraftwerke bedinge. Eine klare Aussage darüber hat die Regierung bislang vermieden.
In diesem sehr heißen Sommer stand Tokio zeitweise vor
Beschränkungen der Stromversorgung, die letztlich auch durch Einsparungen vermieden wurden. Die Energieversorger hatten Engpässe auch dadurch vermieden, dass sie die verfügbaren
Gas- und Kohlekraftwerke voll nutzten.
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Am Bezug von Flüssiggas aus Russland will Japan festhalten. Japanische Handelshäuser sind an entsprechenden Fördergesellschaften auf der russischen Insel Sachalin beteiligt. Die Regierung legt den Unternehmen wie Mitsubishi und Mitsui nahe, ihre Anteile an den Fördergesellschaften nicht aufzugeben.
Die Aktienkurse von Unternehmen des „atomaren Dorfs“, wie es in Japan heißt, gewannen am Mittwoch an der Börse in Tokio dazu. Tokyo Electric Power, der größte regionale Energieversorger in Japan, legte 9,8 Prozent zu. Das Unternehmen betreibt nicht nur das Katastrophenkraftwerk Fukushima Daiichi, sondern auch ein ruhendes Großkraftwerk in der Präfektur Niigata. Der Anteilsschein von Mitsubishi Heavy Industries legte 6,8 Prozent, Japan Steel Works um 5,7 Prozent zu. Hitachi gewann 2 Prozent, Toshiba verlor dagegen 0,2 Prozent.
Quelle: F.A.Z.
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