Konformismus ist Fanatismus
Niemand kann den Aufforderungen des Konformismus nachgeben und dabei frei bleiben.
Oscar Wilde
So sehr ich auch suche, mich kritisch befrage, mein Gedächtnis auf der Suche nach Gegenbeispielen umwälze: Ich habe nie einen sektiererischeren, intoleranteren, stumpferen Menschen kennengelernt, der sich dem Dialog verschließt, als einen Konformisten.
Der Grund dafür ist einfach, wenn man darüber nachdenkt: Der Konformist sucht nicht die Wahrheit, sondern den Konsens. Seine "Meinungen" sind nicht das Ergebnis von Reflexion, sondern von Unterwerfung. Es handelt sich um eine schulmäßige, kindische und unterwürfige Rezitation eines Katechismus, der ihm seine "Respektabilität" als makelloses Schaf garantiert (man hat die Kriterien für Respektabilität, die man haben kann).
Aus diesem rigoros antiintellektuellen Ansatz ergibt sich, dass der Konformist nichts von dem versteht, was er zu denken glaubt. Und er kann keine "Ideen" mit Argumenten verteidigen, die eben nicht auf Argumenten beruhen. Daher die breiigen Ausflüchte des Konformisten, sobald man diskutieren will; daher seine ewige und betrübliche "Taktik" des Gekicher, der Empörung und der Beschimpfungen, sobald sich die Aussicht auf einen argumentativen Austausch abzeichnet.
Verschwörungstheoretiker. Rechtsextrem. Antivax. Faschist. Das ist das argumentative Arsenal des Konformisten (in seiner ganzen Breite). Die vier Himmelsrichtungen seines intellektuellen Kompasses. Darauf läuft die Aktivität seines Gehirns hinaus.
Gegenfeuer aus Beleidigungen und Sarkasmus zu entfachen, um nicht auf das Feld der Ideen gezogen zu werden: Der Konformist ist diesem aufregenden intellektuellen Leben verpflichtet. Aber wie könnte es auch anders sein? Da der Konformist nie denkt (und sehr viel redet), muss er sich unbedingt von jeder Situation fernhalten, in der sich sein kognitives Nichts offenbaren würde - das heißt, von jeder Situation, in der er sein angebliches "Denken" erklären müsste.
Das Feld der Ideen ist für den Konformisten ein riesiges Minenfeld. Das weiß er. Er weiß, dass er in dem Moment, in dem er einen Zeh darauf setzt, verdampfen würde. Das erklärt seine extreme Aggressivität gegenüber jeder Person, die ihn zu einer rationalen Diskussion einlädt. Nahezu tödliche Gefahr.
Das hektische Sperrfeuer, das der Konformist entfesselt, sobald er ein waches Enzephalogramm entdeckt, ist Ausdruck seiner angstbesetzten Besessenheit, sich vor allem, vor allem, niemals auf Argumente einzulassen.
Wenn Sie hören, dass Sie jemand als Verschwörungstheoretiker bezeichnet, müssen Sie also hören: "Ich habe keine Argumente, die ich Ihnen entgegenhalten kann; und das werden Sie mir teuer bezahlen." Wenn Ihnen ein stiergesichtiger Frontniedriger "Faschist!" entgegenbrüllt, bedeutet das: "Ich habe nie über das nachgedacht, was ich zu denken glaube; daher kann ich Ihnen nicht mit einer artikulierten Argumentation widersprechen."
Wenn er Ihnen ein wütendes (und sehr originelles) "Rechtsextrem!" entgegenschleudert, müssen Sie das übersetzen mit: "Nein, ich werde nicht debattieren! Nein, Sie werden meine geistige Leere nicht sehen!" Das Problem ist, dass man nur das sieht: Wenn man seinem Kontrahenten nur noch "Verschwörungstheoretiker" und "Rechtsextremist" entgegenschleudern kann, hat man jegliche Intelligenz aufgegeben...
Der Konformist hat auf jeglichen Verstand verzichtet. Auf jeden kritischen Sinn. Auf jeden Mut. Um sich immer in strikter Übereinstimmung mit dem Konsens zu befinden, hat er seine Freiheit, seine Würde und alles, was den Menschen groß macht, über Bord geworfen. Alles, was den Menschen aufrecht leben lässt.
Der Konformist lebt auf den Knien - und meistens auch auf dem Bauch. Der Konformist ist nicht frei. Der Konformist ist ein Sklave des Zeitgeists. Sein "Leben" ist eine vage Wanderung von einer Knechtschaft zur nächsten. Sein Gehirn und seine Seele werden nie eine größere Lust erfahren, als fügsam die modischen Dogmen zu schlucken. Dogmen, die von der Medienkirche und ihren unfähigen Priestern erlassen werden, die ständig kurzlebige Evangelien produzieren ... Wegwerfkatechismen ... Eine schäbige, unendlich nutzlose Kirche, der der Konformist ein perfekter Anhänger sein möchte.
Ein vorbildlicher Bigotter. Also stopft er sein Gehirn mit den drolligen Dogmen der Medienkirche voll. Doch man argumentiert nicht gegen Dogmen - oder für sie. Man stellt Evangelien keine Beweise entgegen. Man bestreitet einen Glauben nicht mit Argumenten. Angesichts dessen, was heilig ist, ist eine dialektische Haltung nicht nur nutzlos, sondern auch irrelevant. Sie ist vor allem gefährlich: Da der Konformist weiß, dass er zu keiner argumentativen Entwicklung fähig ist, entwickelt er ein Gefühl der Fremdheit und damit der Unsicherheit, das ihn zu einem schlechten Menschen machen kann.
Das passiert oft: Dann erleben wir das herrlich paradoxe Schauspiel des wütenden Moderaten. Den extremistischen Zentristen. Das wirbellose Weichtier, das sich plötzlich aufrichtet - nicht für lange, seien Sie beruhigt ... das ist nicht seine Natur ... Aber für ein paar Augenblicke wird die Schnecke zur Kobra. Der Esel wird zum Löwen.
Der lauwarme Wasserhahn nimmt die Züge eines Kärchers an. Der vage, atonetische Zweibeiner wird zu einer Kugel aus Hass. Dieser verschwommene "Geist", der verwässert und durch tausendfachen Unsinn neu verdünnt wurde, sammelt sich plötzlich, um den schändlichen Ungläubigen mit Beschimpfungen zu überziehen. "Verschwörungstheoretiker! Antivax! Rechtsextrem! Faschist!" Bis repetita.
Es ist ein faszinierender (und zugegebenermaßen auch lustiger) Moment, wenn dieser Sklave zum Tyrannen wird. Wenn dieser unterwürfige Kriecher zum Zornigen wird. Wenn dieser dumpfe, schwammige Quasselstrippe zornige Töne anschlägt. Und damit seine fanatische Natur enthüllt: Er hält sich ohne jede Prüfung an alles, was von der religiösen Autorität kommt, und er geißelt wütend alles, was sich dem widersetzt. Umso wütender, weil er nichts davon versteht.
Umso heftiger, weil er nicht weiß, warum. Lassen wir uns also nicht länger von der konformistischen Täuschung täuschen. Entlarven wir den Barbaren hinter dem Gemäßigten. Den obskurantistischen Geist hinter dem Geschwätz des Intellektuellen. Ja, öffnen wir unsere Augen weit für die Realität: Konformismus ist Dogmatismus. Konformismus ist Obskurantismus. Konformismus ist Fanatismus.
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