FutureZone.at / 09.01.2024
Militärtechnik
Chinesische Atomraketen sollen mit Wasser statt Treibstoff gefüllt sein
Außerdem sollen die Deckel vieler Raketensilos nicht gut genug funktionieren, um einen effizienten Start zu ermöglichen.
Chinas Armee (PLA) hat mit Korruption zu kämpfen. Besonders betroffen ist die PLARF (People's Liberation Army Rocket Force), die für Chinas Raketenarsenal zuständig ist. Dies inkludiert bodengestützte atomare und konventionelle ballistische Raketen, Marschflugkörper, Hyperschallraketen und die dafür nötige Infrastruktur und unterstützenden Elemente.
Im
Juni 2023 wurde der
Chef der
PLARF und 2 seiner Vertreter
entlassen. Im Juli starb ein früherer hochrangiger Offizier der PLARF unter mysteriösen Umständen. Im Oktober 2023 wurde der
chinesische Verteidigungsminister wegen Korruptionsvorwürfen seiner Position erhoben. Er hatte diese nur 7 Monate inne, nachdem im März 2023 sein Vorgänger in Pension gegangen ist. Am 29. Dezember 2023 wurden 9 chinesische Militärs ihrer Posten enthoben, wovon 5 mit der PLARF zu tun hatten. Ein paar Tage zuvor wurden öffentlich 3 hochrangige Manager von staatlichen Raketenherstellern entlassen.
Der aktuelle
Kommandant der PLARF ist ein
Admiral der chinesischen
Marine. Dass der Chefposten nicht innerhalb der PLARF nachbesetzt wurde, wird als Zeichen gesehen, dass die politische Führung Chinas eine tiefgehende Korruption bzw. Missmanagement innerhalb der Raketenstreitkräfte vermutet.
Wasser im Tank, defekte Silodeckel
Jetzt dürfte ein Teil der Korruption bekannt sein. Zumindest stellt das
Bloomberg so da. Laut den
US-Geheimdiensten wurden viele Beispiele für das Ausmaß der Korruption gesammelt. Dazu gehören
„Raketen, die mit Wasser statt Treibstoff gefüllt sind und große Mengen von Raketensilos im Westen von China, deren Deckel nicht richtig funktionieren, um einen effizienten Raketenstart durchzuführen.“
Nähere Details nennt Bloomberg
nicht. Auch die Quellen bzw. von welchen Geheimdiensten die Quellen ihre Informationen haben, wird nicht verraten.
Womöglich Treibstoff geklaut, um Geld zu verdienen
Das sorgt für Spekulationen. Die scheinbar offensichtlichste Möglichkeit ist, dass Wasser statt Treibstoff getankt wurde, damit sich Menschen bereichern. Weil heimlich die Raketen mit Wasser gefüllt wurden, konnte der Treibstoff an anderer Stelle verkauft werden. Andere Theorien gehen von
menschlichem Versagen, bzw.
Schlamperei aus. So hat Chinas Präsident Xi Jinping in den vergangenen Jahren massiv Druck gemacht, um die PLA bis 2027 vollständig zu modernisieren. Das hohe Tempo könnte zu
Flüchtigkeitsfehlern geführt haben.
Die Suche nach der betroffenen Rakete
Um der Sache mit den wasserbetankten Raketen auf den Grund zu gehen, muss man erst wissen, um
welche Raketen es sich überhaupt handelt. Offensichtlich müssen es Modelle mit
Flüssigtreibstoff sein – sonst könnte man den Treibstoff
nicht durch Wasser ersetzen.
PLARF hat vermutlich mehr als
300 Marschflugkörper im Arsenal, die
Flüssigtreibstoff nutzen, berichtet
The Drive. Diese werden aber
von Fahrzeugen gestartet und
nicht aus Silos. Außerdem haben sie wenig Treibstoff, verglichen mit
ballistischen Raketen. Da in dem Bloomberg-Bericht
Silos im selben Atemzug genannt werden, dürfte es also
nicht um
Marschflugkörper gehen.
Die
Vermutung fällt in Folge auf die
Dongfeng 5 (DF-5). Die
ballistische Rakete nutzt Flüssigtreibstoff und ist in
Startsilos untergebracht.
Ältere Modelle sind mit Nuklearsprengköpfen mit bis zu 5.000 Kilotonnen bestückt.
Neuere Modelle haben die
Option für
Mehrfachsprengkörper (MIRV). Eine Rakete hat dann 4 bis 6 Atomsprengköpfe mit
500 Kilotonnen geladen. Die
Reichweite beträgt
13.000 Kilometer.
Raketen wurden schlecht ausgewaschen
Raketen mit
Flüssigtreibstoff werden üblicherweise
nicht betankt gelagert. Der
Treibstoff ist nicht nur
entflammbar und
explosiv, sondern auch
toxisch und
korrosiv. Er würde also die Rakete von
innen heraus zerfressen, wenn er
zu lange im Tank bleibt. Deshalb werden ballistische Raketen, die permanent einsatzbereit sein sollen, bevorzugt mit
Festtreibstoff genutzt. Der hat den Nachteil, dass bei schweren Raketen der Verbrauch
höher ist und der Tank wegen des größeren Drucks
stabiler gebaut werden muss, was wiederum die Rakete schwerer macht.
Raketen mit
Flüssigtreibstoff haben also meist
mehr Reichweite als Raketen derselben Größe mit
Festbrennstoff.
Wenn die DF-5
leer gelagert wird, heißt das, sie muss
erst betankt werden, bevor sie starten kann. Dies soll bei der Rakete
30 bis
60 Minuten dauern. Um das zu optimieren, wird das Betanken
geübt. Nach der Betankung muss der Treibstoff
abgepumpt und der Tank
ausgewaschen werden, damit die
korrosiven Rückstände verschwinden. Das
Schmutzwasser muss dann ebenfalls
ausgepumpt werden. Es ist möglich, dass dies
nicht gründlich genug gemacht wurde und deshalb
Wasser im Tank
zurückgeblieben ist.
Denkbar ist auch, dass China ein
Rotationsprinzip hat. Es könnten also z.B. immer nur
20 Prozent der
DF-5s betankt sein, um schnell reagieren zu können. Nach einer bestimmten Zeit werden die Tanks
geleert und die nächsten 20 Prozent
betankt. So sind immer ein paar Raketen
sofort startbereit und es kommt zu einer
gleichmäßigen Abnutzung. Das würde das häufige Ausspülen der Tanks erfordern, wobei, wenn es
nicht richtig gemacht wird, Wasser
zurückbleiben könnte.
MIRV-Booster wurde falsch betankt
Eine weitere Theorie ist, dass das „Post-Boost-Vehikel“ (PBV)
falsch betankt wurde. Dabei handelt es sich um die Stufe der Rakete, die die
MIRV-Sprengköpfe über
ihren Zielen freisetzt. PBVs nutzen üblicherweise
flüssige hypergole Treibstoffe. 2 Komponenten befinden sich in
getrennten Tanks. Berühren sie sich bei der gemeinsamen Einspritzung ins Triebwerk, zünden sie sofort – es ist quasi der 2-Komponenten-Kleber der Raketentreibstoffe.
Damit diese Reaktion
nicht verfrüht oder gar
bei der Lagerung im Silo erfolgt, muss das PBV
dicht sein. Nach dem Bau werden sie deshalb mit
Wasser bzw.
wasserbasierten Kontrastmittel befüllt, eine Weile
gelagert und
geschüttelt, um die Vibrationen beim Flug zu simulieren. Sind sie dicht, werden die Tanks
ausgepumpt, mit dem
hypergolen Treibstoff befüllt und in die Raketen
eingesetzt.
Der Theorie zufolge könnte aus
Eile, menschlichem Versagen oder
Schlamperei das PBV direkt nach dem Test ausgeliefert worden sein – also noch
mit Wasser statt Treibstoff im Tank. Bei der Installation in die Rakete wäre das nicht aufgefallen, weil das PBV lediglich gewogen wird, um zu bestimmen, ob es ausreichend betankt wurde bzw. das Gewicht keinen Grenzwert überschreitet. Die PBVs werden
fertig betankt in die Raketen
installiert. Denn das Hantieren mit den hypergolen Treibstoffen ist
gefährlich und das
Betanken im
Silo würde ziemlich lange dauern, wenn die PBVs schon in den Raketen verbaut sind. Stattdessen werden sie nach einer bestimmten Zeit, meist zwischen
5 und
7 Jahren,
ausgebaut, inspiziert und
gewartet. Dazu wird der Treibstoff
abgelassen. Und hier hat womöglich die PLARF
festgestellt, dass
nur Wasser im Tank war. Sollte das bei einer
ganzen Charge von
PBVs passiert sein, könnten alle davon betroffenen Atomraketen
unbrauchbar sein, weil die MIRVs
nicht über den Zielen abgeworfen werden.
Umstellung der Doktrin als Mitgrund des Versagens
Möglicherweise ist
nicht (nur) Korruption Auslöser für dieses Fehlverhalten. Das Drängen auf den Ausbau der PLA und Umstellung von Doktrinen könnte mitverantwortlich für die Schlamperei sein – etwa, weil Zeit
gespart werden sollte.
So hat China in den vergangenen Jahren auf
„Launch on Warning“ (LOW) bei seinen Atomraketen
umgestellt.
LOW sieht vor, dass die eigenen Atomraketen
gestartet werden, sobald
anfliegende feindliche Atomraketen
erkannt wurden. Die
eigenen Raketen sind dann schon in der Luft und
unterwegs zum Ziel,
bevor die feindlichen Atomsprengköpfe
einschlagen.
LOW ist mit Raketen mit Flüssigbrennstoff, die erst betankt werden müssen, aber
schwer umzusetzen. Die amerikanischen Minuteman III, die Festbrennstoff nutzen, können innerhalb von Minuten aus den Silos abgefeuert werden - während die DF-5 eben 30 bis 60 Minuten betankt werden muss. Der Versuch, diese Zeit zu reduzieren, könnte zu den
Flüchtigkeitsfehlern geführt haben.
Auch das Problem mit den
Silodeckeln könnte damit zu tun haben. Vor 2 Jahren hat China begonnen, die Anzahl seiner Silos
massiv auszubauen. Von früheren
20 Stück für DF-5s wurde auf
250 aufgerüstet. Dieser schnelle Ausbau könnte verantwortlich sein, dass die Deckel nicht ausreichend getestet oder falsch installiert wurden. Es ist auch möglich, dass die Deckel
nicht schnell genug öffnen, um Chinas
neue LOW-Strategie zu unterstützen. Womöglich wurden die Deckel der neuen Silos mit der Mechanik der ersten 20 Silos ausgestattet. Damals mussten die Deckel nicht unbedingt schnell öffnen, da die Rakete ohnehin erst betankt werden musste.
Vorbereitung auf die Invasion von Taiwan
Die
Modernisierung der chinesischen Armee bis
2027 könnte mehr als nur ein Säbelrasseln sein. Politische Beobachter gehen davon aus, dass China damit eine
Invasion auf
Taiwan vorbereitet, bzw. schlagbereit sein will, um eine mögliche Invasion zwischen
2027 und
2032 durchführen zu können.
PLARF spielt eine
wichtige Rolle dabei. Der
Erstschlag, um die taiwanesischen Verteidigungsanlagen zu eliminieren, wird vermutlich mit
landgeschützten Raketen und
Marschflugkörpern erfolgen. Erst danach kommt der
Angriff mit
Flugzeugen und
Schiffen. Außerdem ist die
LOW-Doktrin wichtig, um den mit
Taiwan verbündeten
Nuklearmächten die
„Zähne zu ziehen“. Sie müssten konventionelle Waffen nutzen, da sie bei einem Atomschlag
nicht alle chinesischen Atomwaffen ausschalten könnten, bevor China diese
gestartet hat.
PLARF hat auch
landgestützte Antischiffsraketen im Arsenal. Diese würden bei einer Invasion vermutlich nicht nur gegen
Taiwan gerichtet werden, sondern auch gegen die
amerikanischen und
japanischen Flotten, sollten diese
zugunsten Taiwans
einschreiten.
[Links nur für registrierte Nutzer]